Die Zeiten, in denen er nur in den Salat durfte sind vorbei. Essig ist ein puristisches Würzmittel. Ein exquisites Naturprodukt für Feinschmecker.

Balsamico Essig

Essig hat viele Erscheinungsformen bis hin zu dick-flüssig, als einreduzierter Genuss. ©unsplash

Wer gerne kocht weiß: Ein guter Essig bringt nicht nur Säure in unsere Speisen. Er kann auch Bitterkeit reduzieren und Gerichte geschmacklich abrunden. Essig nimmt die Salzigkeit, er gleicht den Fettgehalt aus und kann sogar Schärfe lindern. Faden Suppen und Soßen verleiht er das gewisse Etwas, er macht gekochtes Fleisch zart, und ein Linseneintopf wären ohne ihn undenkbar. Der Essig hat sich gemausert, von einem Randprodukt zu einem tollen Würzmittel. Zum Einlegen, Verfeinern und Marinieren. Manche Edelbrenner haben sich sogar auf Essig spezialisiert. Und was da aus ihren Kellnern kommt, ist richtig gut. Handwerklich, hochwertig. 

Der Rohstoff als Qualitätsparameter

Essig ist nicht gleich Essig. Die Auswahl an Essigsorten ist vielfältig. Es gibt Wein-, Branntwein-, Obst-, Balsam-, Sherry-, Reis-, Malz-. … essig. Aber: Die Qualität der Rohstoffe ist immer entscheidend für die Qualität des Essigs. So wird aus schlechtem Wein niemals ein guter Essig. Der Geschmack des Essigs kann natürlich beeinflusst werden, indem man ihn nach seiner Herstellung mit Gewürzen, Kräutern oder Früchten und Gemüse versetzt. Durch die Zugabe von Salbei, Estragon, Knoblauch, Himbeeren, Marillen, … zu Branntweinessig, Wein-und Obstessig entstehen aromatisierte Essige, die auch Ansatzessige genannt werden. 

Die richtige Wahl

Nicht jede Speise harmoniert mit jedem Essig. Ein guter Koch hat mehr als nur eine Sorte davon zur Hand. Er löscht mit einem Paprikaessig sein Gulasch ab und verwendend für die Herstellung einer Sauce Hollandaise einen Spargelessig. Tomate-Mozzarella finalisiert er ebenso mit Balsamico wie Erdbeeren. Fleisch, Geflügel und Fisch verlangen nach Weinessig. Bei Wild und dunklem Fleisch greift der Koch natürlich zu einem Rotweinessig, ebenso zum Abschmecken von Blaukraut. Den milderen Weißweinessig gibt er zu Fisch und Geflügel. Ein Kenner gibt dann auch in den Strudelteig, neben Öl, einen Schuss Essig, damit er sich besser ausziehen lässt. Ein paar Tropfen Apfelessig machen jeden Kuchen flaumig. Und wie sollte sich eine Gurke in eine Gewürzgurke verwandeln, wenn da nicht der Essig wäre. Mit Essig kann man sich seine eigene Buttermilch zaubern und auch Mayonnaise, Senf, Ketchup und Chutneys könnten ohne Essig nicht bestehen. So manch innovativer Barkeeper peppt seinen Cocktail mit einem Trinkessig, einem sogenannte Shrubs (ein aus Frucht, Zucker und Essig hergestellter Sirup) auf. Wer also bei Essig nur an Salat denkt, der ist wirklich nicht ganz up to date. 

Altes Kulturgut und Zufallsprodukt

Erst Louis Pasteur entdeckte, dass durch die natürlich vorkommenden Bakterien aus der Luft der Alkohol in Essig ungewandt wird. Aber natürlich beginnt die Geschichte des Essigs nicht erst mit der Erklärung des französischen Wissenschaftlers. Schon vor langer Zeit entdeckte man, wohl zufällig, dass Wein sauer wird. In China war Essig bereits 6000 v. Chr. bekannt. Ägypter ließen Wein und Bier an warmen Tagen einfach offen stehen und kamen so zu dem sauren Saft. Die Feldflaschen der römischen Legionäre waren mit einem Gemisch aus Wasser und Essig, das sie „Posca” nannten, gefüllt. Trinkwasser wurde zu dieser Zeit erst durch die Zugabe von Essig genießbar. Essig wurde also schon damals nicht nur zum Würzen verwendet. Auch seine konservierende Wirkung, etwa zur Haltbarmachung von Fleisch, wurde schon früh genutzt. Im Mittelalter fungierte der Essig als Bakterienkiller, denn ein Waschen von Obst und Gemüse war durch mangelndes Trinkwasser meist nicht möglich. In dieser Zeit erkannten Hildegard von Bingen die Heilwirkung, insbesondere des Kräuteressigs. Sie riet, sich zur Desinfektion den Körper mit Essig einzureiben. Mit dem Pestessig, einem Kräuterauszug auf Essigbasis mit der Weinraute als wichtigstem Bestandteil, versuchte man der Pest Herr zu werden. Im 18. und 19. Jahrhundert hing man große, mit Essig befeuchtete Tücher an die Decken der Krankenhaussäle. 

Er hilft auch

Noch heute wissen wir den Essig als Hausmittel zu schätzen. Essigwickel helfen bei Fieber und bei Gelenksverletzungen. Apfelessig unterstützt beim Abnehmen, weil der die Fettverbrennung im Körper fördert. Zehn Minuten vor jeder Mahlzeit ein Glas Wasser mit zwei Esslöffel Apfelessig trinken, wirkt sich positiv auf den Cholesterinspiegel aus. Und wer morgens nicht so recht in Schwung kommt und Probleme mit dem Kreislauf hat, dem sei nach dem Aufstehen ein Viertelliter Wasser mit zwei Esslöffel Essig und einem Esslöffel Honig empfohlen. Und Ihre Haar freuen sich über eine Essigspülung. Essig schließt das Haar und macht es seidig und weich.

Herstellung von Essig

Essig ist das Produkt von zwei Gärungsprozessen, der alkoholischen Gärung und der Essiggärung. Dies ist im österreichischen Lebensmittelbuch genau definiert: “Unter Essig versteht man eine zum menschlichen Genuss insbesondere zum Säuern und Konservieren von Speisen geeignete Flüssigkeit, die entweder durch den Prozess der doppelten Fermentation, nämlich dem der alkoholischen und der Essiggärung oder durch Verdünnen von für Genusszwecke geeigneter Essigsäure mit Wasser hergestellt wird (Säureessig). Im Handel ist beispielsweise der Tafelessig ein Säureessig, also ein Essig minderer Qualität, dessen Herstellungsart gekennzeichnete werden muss. Praktisch jedes Obst und Gemüse mit einem hohen, natürlichen Zuckergehalt sowie Getreide wie Gerste, Reis, Zuckerrüben und sogar Honig können zur Herstellung von Essig verwendet werden. Der Zucker vergärt zu Alkohol (durch die Zugabe von Hefe). Nach der Umwandlung werden dem alkoholischen Getränk wie Wein, Cider oder Bier Essigbakterien (die sogenannte Essigmutter) zugefügt. Mit Hilfe von Sauerstoff und Wärme wandeln diese Essigbakterien den Alkohol in Essigsäure/Essig um. Dieser Vorgang dauert beim Apfelessig gut sechs bis acht Wochen. Der Anteil der Essigsäure muss zwischen fünf bis sechs Prozent liegen, bei einem Restalkohol von 0,5 Prozent. Somit ist der Essig haltbar und zum Konservieren von Lebensmitteln geeignet ist. 

Verschiedene Verfahren

Ein sehr traditionelles, Jahrhunderte altes Verfahren zur Erzeugung von Essig ist die Orléans-Methode (auch Oberflächenmethode), die Ende des 14. Jahrhunderts in Frankreich entwickelt wurde. In die mit Luftlöchern versehenen Eichenfässer, die zur Hälfte mit alkoholhaltiger Flüssigkeit gefüllt sind, werden Essigsäurebakterien beigegeben. Sie bilden an der Oberfläche eine Haut, die sogenannte “Essgimutter”. Nachdem kein zusätzlicher Säuerstoff einwirkt, dauert die Gärung einige Wochen. Bis zu zwei Jahren sogar bei Eiswein oder Trockenbeerenauslesen. Der fertige Essig sinkt auf den Fass-Boden und wird über das Spundloch abgezapft. Zum Schluss wird neuer Wein aufgefüllt. Diese natürliche Oberflächenfermentierung kommt wieder vermehrt zum Einsatz, das Ergebnis sind hochwertigste, milde Essige. Dennoch verwenden nur wenige Essigbauern diese handwerkliche Methode, sondern greifen auf Produktionsverfahren zurück, die wesentlich schneller ablaufen wie das Submersverfahren und das Essigbildnerverfahren. Submers heißt untergetaucht. Es entwickelt sich keine Essigmutter, die Essigbakterien siedeln sich direkt in der Maische an, sind überall in der alkoholhaltigen Flüssigkeit verteilt. Wertvolle Fruchtaromen bleiben so im Essig erhalten, und das Ergebnis ist ein frischer und fruchtiger Essig. Bei der Essigbildnermethode werden in die Holzfässer (Bildner) Buchenrollspäne gehängt, auf denen sich die Essigbakterien ansiedeln. Diese bieten den Bakterien eine große Angriffsfläche und dadurch, und durch die ständige Zuführung von Sauerstoff, geht die Essigproduktion noch schneller vor sich. Nach sechs bis zehn Tagen ist der Rohessig fertig.

Keine trüben Aussichten

Mit dem Essig verhält es sich wie mit jungem Wein. Sein volles Bouquet erreicht er nur nach einer langen Lagerung. Danach enthält er aber sehr oft Enzyme, Pektine und ausgeflockte Extraktstoffe, die sein „Erscheinungsbild“ trüben. Aber die Trübung durch diese biogenen Stoffe beeinträchtig auf keinen Fall die Qualität des Essigs. Schließlich wird beim industriellem Essig für die „Schönheit getrickst, also aus optischen Gründen filtriert, zudem auch pasteurisiert.