Zwischen Agrarromantik und Provinztristesse: Eine Ausstellung im Kunst Haus Wien versucht Antworten darauf zu finden, wie das so ist mit dem Landleben.

© Ann Golaz, Courtesy: Galerie C, Le Père

Dörfliche Gemeinschaft, ländliche Idylle, die Verheißung alternativen Lebens stehen auf der einen Seite. Öde Provinz, Abwanderung, infrastrukturelle Auflösung auf der anderen. Es gibt kaum Begriffe, die unterschiedlichere Assoziationen auslösen, als der des “Landlebens”. Sicher ist: Noch bis in die 1960er-Jahre hinein waren die meisten ländlichen Regionen in Mitteleuropa bäuerlich geprägt. Und ebenso sicher ist: Heute Ieben hierzulande schon knapp  60 Prozent der Menschen in urbanen Siedlungsräumen. Vor allem junge Frauen wandern ab. Die Motive für die Stadtflucht werden in “Having-Loving-Being” zusammengefasst. , Having” beschreibt materielle Komponenten, ,Loving’ das Bedürfnis nach sozialen Kontakten, ,Being’ den Grad an Selbst- und (politischer) Mitbestimmung. Am Land fehlen Ausbildungschancen, Arbeitsplätze, Kindergärten und Schulen. Der öffentliche Verkehr ist quasi nicht vorhanden, soziale Treffpunkte gibt es auch kaum. Und dann sind da noch die häufig als einengend empfundenen sozialen Netzwerke und die fehlende Toleranz  gegenüber individuellen Lebensentwürfen. Was am Ende dann übrig bleibt? Immer mehr Gemeinden mit einer überalterten Bevölkerung, ohne ausreichende Nahversorgung und Infrastruktur.

Überleben am Land

© Peter Braunholz, Courtesy Galerie Anja Knoess, Köln; Eva Szombat

“Und mit der Schließung von Postamt, Supermarkt und  Bank reduzieren sich die beruflichen und  persönlichen Möglichkeiten weiter”, sagt  Elke Rauth von derive – Verein für Stadtforschung. Was danach kommt: “Die Perspektivlosigkeit, die Menschen empfänglich für politischen Populismus macht und Nährboden für nationalistische Tendenzen ist, wie Wahlergebnisse in Euro und den USA zeigen.”

Paradiesischer Zufluchtsort?

Der von Städtern geträumte Traum vom Land ist gemeinhin ein anderer. Da dominiert der Zufluchtsort mit Ruhe, innerer Einkehr, dem Leben im Einklang mit  der Natur. Und der idyllische Alltag abseits von Hektik und  Konsumzwang. Der Trend geht zum Zweitwohnsitz am Land. “Mit der Wirklichkeit des Dorflebens hat die Stippvisite am Wochenende allerdings meist recht wenig zu tun”, sagt Rauth.

© Ann Golaz, Courtesy: Galerie C; Anatoliy Babiychuk, Bildrecht 2018

Unsere Vorstellungen vom LandIeben seien immens beeinflusst und geformt durch  Fotografien und  Filme. “Häufig sind es idealisierte, oft auch romantisierende Bilder des Dörflichen, inszeniert für Magazine, Kochbücher, Fernsehserien, Werbung und Tourismus.” Diesen utopischen Scheinwelten, sagt sie, würden wir uns zumeist nur allzu gerne hingeben. Sie rät dazu, das Leben am Land einer genaueren Betrachtung, einem reality check zu unterziehen. Genau dazu will die derzeit im Kunsthaus Wien laufende Ausstellung Über Leben am Land beitragen. Zwanzig Künstler präsentieren dort gerade Fotos und Filme zum Thema. Die sollen helfen, stereotype Bilder zu identifizieren und vielschichtige Realitäten des Landlebens von idealisierten Vignetten zu unterscheiden.

Wird aus Gegenpolen eins?

Bei näherer Betrachtung kommt man dann nicht umhin, festzustellen, dass es zwischen beiden Polen noch etwas gibt: Eine neue Realität nämlich. Und die zeigt sich mehr und mehr in Form einer fließenden Grenze. Während viele Landstriche bereits versuchen, urbane Qualitäten entwickeln, wird das ,Dorf in der Stadt” zur alltäglichen Wunschvorstellung. Progressive Bürgermeister am Land sehen nicht mehr länger zu, wie ihre Dorfer schrumpfen, sondern stellen sich den Herausforderungen der Ab-  und Zuwanderung- auch mit der Integration von Geflüchteten. Man betreibt gemeinschaftlich Lebensmittel-Läden und Dorfgasthäuser, investiert in Kindergärten, renoviert leerstehende Hauser im Zentrum, um Platz für frische ldeen zu schaffen. setzt auf Mitbestimmung und Kunst und Kultur. Währenddessen importieren die Landflüchtigen – aktuell kehrt nur ein Viertel ins Dorf zurück – die Attribute des Ländlichen in die Stadt: Balkongarten oder Bienen  am Dach florieren ebenso  wie Erntefelder und urbane Gemeinschaftsgarten. Menschen finden sich in Baugruppen und Hausprojekten zusammen, um ,ein Dorf  in der Stadt” zu gründen, und auch im genossenschaftlichen Wohnbau sind Gemeinschaftsräume oder kollektiv genutzte Dachterrassen längst Standard. “Die Einteilung in Stadt  und  Land beschreibt in unserer  globalen, mobilen Welt  zusehends einen sozialen  Möglichkeitsraum, der neue Denkansätze für die Zukunft am Land  und in der Stadt eröffnet”, sagt Rauth. Nur die konservative Politik nütze die historischen Zuschreibungen weiter: “Wenn Ex-Kanzler Kurz verbale Attacken gegen die Hauptstadt Wien reitet, indem er sie als ,gefährlich’ oder ,faul” bezeichnet, ruft er tief verankerte Bilder einer langen ldeengeschichte der Stadt-Feindschaft ab. Das öffentliche Bild des von der Natur  entfremdeten, parasitären Städters, der von sich aus nicht überlebensfähig ist.”  Das stammt übrigens aus der Zeit der lndustrialisierung, die eine flächendeckende Landflucht mit sich brachte.

Die Ausstellung Über Leben am Land im Kunst Haus Wien vereint fotografische Positionen, die sich auf dokumentarische, inszenierende und  bisweilen sehr persönliche Weise den unterschiedlichen Gesichtern der Provinz  in Europa und den USA annähern. Als ländliche Topographien zeigen sich die fotografischen Bildgeschichten und sind dabei analytisch, poetisch, real und surreal, frohlich, komisch, melancholisch und  bisweilen tragisch, nie objektiv oder vollstandig. Die Ausstellung läuft noch bis 25. August 2019. https://www.kunsthauswien.com/de/