Paradeiser-Bredouille
Auch im Winter die heißgeliebten Paradeiser essen: Ja? Nein? Nur wenn sie aus Österreich kommen? An dieser Frage scheiden sich noch immer die Geister.
Haben Sie Gewissensbisse, wenn Sie auch im Jänner zu Paradeisern greifen? Nicht mehr? Schließlich kommen die jetzt auch im Winter aus dem Wiener Umfeld oder dem steirischen Bad Blumau? Stimmt. Tatsächlich sind die Paradeiser längst auch im Winter zu einem regional verfügbaren Produkt geworden. Ein Wintermärchen ist sozusagen wahr geworden. Aber ist die Frage, ob wir zu dieser Jahreszeit ein so wärme- und lichtliebendes Fruchtgemüse konsumieren sollten, wirklich so leicht zu beantworten? Oder sollte uns nicht doch das Gewissen drücken? Und geht das überhaupt? Ein nachhaltiger Paradeiseranbau im Winter in Österreich.
Verkehrte Welt?
Es klingt zu schön um wahr zu sein, sagt Humanökologe und VKI-Nachhaltigkeitsexperte Raphael Fink: “In Österreich ist es für den Paradeiseranbau im Winter prinzipiell zu kühl und wegen der kurzen Tageslänge zu dunkel.” Ergo könne man heimische Freiland-Paradeiser nur im Sommer ernten: “In den Supermärkten kommen sie aber auch da entweder aus Folientunneln oder Glashäusern.” Letztere würden in den kühleren Monaten zwischen März und November beheizt. “So wird die Saison bereits um mehrere Monate ausgedehnt. Tomaten aus Folientunneln werden zwischen Juni und September geerntet.” Wer aber Tomaten zwischen November und März ernten möchte, der müsse neben der Temperatur vor allem ein weiteres Problem lösen: den Lichtmangel: Das geht dank Hochleistungslampen, die die Pflanzen mit Licht und Wärme versorgen, kostet aber; und ist sehr energieintensiv. Auch Geothermie und Ökostrom ändern an der Tatsache nichts, so Fink, der die Frage in den Raum stellt: “Ob es nicht sinnvoller wäre, diese ökologisch gewonnene Energie an Privathaushalte zu liefern. Anstatt sie dafür zu nutzen, damit wir bei Minusgraden heimische Tomaten ernten und so auch im Winter ein Sommergemüse essen können.”
Groß, größer, am Größten
Nicht nur teuer ist diese Form der Paradeiserproduktion aber, sondern auch erst aber einer gewissen Größe der Glashäuser rentabel: Unter mehreren zehn Hektar Fläche geht da gar nichts. Schließlich gilt es, alle heimischen Handelsketten zu beliefern. Den Anrainern gefallen große Glashäuser verständlicher Weise nicht immer. Einmal, weil die Produktion Verkehr mit sich bringt und dann ist da auch noch die Lichtverschmutzung durch die Rund um die Uhr-Beleuchtung. Sturm dagegen laufen übrigens auch Bauern. Warum? “Die kleinbäuerliche Struktur gerät durch derartige Projekte stark unter Druck”, erläutert Fink. “Die kleineren Tomatenbauern schauen durch die Finger. Für deren Gemüse besteht kein Bedarf mehr. Oder nur mehr zur Überbrückung sporadischer Lieferengpässe.” Das Fazit des Nachhaltigkeitsexperten ist klar:
Jeder, der im Winter Paradeiser aus Österreich kauft, trägt ein Stück weit dazu bei, dass die kleinstrukturierte, heimische Landwirtschaft unter Druck gerät. Und nebenbei auch riesige Mengen an Energie dafür aufgewendet werden. Weil wir für vier Monate nicht auf unserer Lieblingsgemüse verzichten wollen?
Die Handelsketten pochen allerdings weiterhin auf den reduzierten Transportaufwand und die heimische Wirtschaft, verweisen auf die Modernität der Glashäuser und den Einsatz von Nützlingen, der eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln nach sich zieht – “Eine Praxis, die im österreichischen Gewächshausanbau ohnehin gängige Praxis ist”, sagt Fink: “Jeder Kauf von frischen Tomaten im Winter trägt dazu bei, dass wir heimischen Kleinbauern die Existenzgrundlage entziehen, uns von einer Handvoll Produzenten abhängig machen und wertvolle Energie für derartige Projekte verschleudern. Anstatt sie für wirklich sinnvolle Zwecke zu nutzen.” Sind die importierten Tomaten besser? Hat Wissenschaftlerin Michaela Theurl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau doch berechnet, dass der CO2-Fußabdruck spanischer Tomaten, die 2.000 Kilometer aus dem südlichen Almeria nach Österreich transportiert werden, nur halb so hoch pro Kilo ist, wie der österreichischer Winterparadeiser. Nein, sagt Fink: “Tomaten aus Spanien sind nur anders schlecht. Da sie aus trockenen Regionen stammen, in denen Menschen unter arbeitsrechtlich kritischen Bedingungen arbeiten und leben, sind diese Tomaten problematisch im Hinblick auf ihren hohen Wasserverbrauch, intensiven Pestizideinsatz und ihre mit der Produktion verbundenen sozialen Aspekte.”
Und die Lösung?
Ist für den Humanökologen simple: “Einfach keine Paradeiser im Winter kaufen. Aus Österreich nicht. Aus Spanien, Italien, Marokko nicht. Regionalität macht aus ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsperspektive nur im Zusammenspiel mit Saisonalität und bio Sinn.” Wer nicht regional kaufe, verlagere Probleme in andere Länder und verschiebe sie (z.B. hoher Wasser- statt Energieverbrauch). Wer nicht bio kaufe, heimse sich Schwierigkeiten ein, die mit verschiedenen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zusammenhängen. Und wer nicht saisonal kaufe, unterstütze einen ungeheuren Energieaufwand und den Strukturwandel der heimischen Landwirtschaft: weg von vielen kleinen Betrieben hin zu wenigen großen. “Deshalb: immer am besten alle drei Aspekte zusammendenken, um auf der sicheren Seite sein.” Wir haben noch eine andere Lösung. Im Winter greifen wir nämlich mit Vorliebe zu Paradeisern, die in der letzten Saison ihren Weg ins Glas gefunden haben. Die riechen und schmecken nämlich besonders süß, nach Sommer, Sonne und Lebenslust!
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