Es scheint vollbracht: Als erstes Land in Europa verbietet Österreich Glyphosat. Trotz einer Boku-Studie, die den Unkrautvernichter plötzlich für problemlos hält.

Glyphosat Panthermedia

Auf 30 Prozent der heimischen landwirtschaftlichen Flächen wird Glyphosat verwendet. ©Panthermedia

Just einen Tag vor der Abstimmung im Nationalrat zum Glyphosat-Verbot präsentierte die Wiener Universität für Bodenkultur (BOKU) eine Studie. Die besagt allem voran, dass Glyphosat im Vergleich zu herkömmlichen Spritzmitteln kein höheres Risiko birgt. Ein Schelm, wer da einen Zusammenhang sieht. Das schon vor Wochen angekündigte Nein seitens Norbert Hofer wackelte. Lange Rede kurzer Sinn: Alles sah nach einem Gesinnungswandel aus. Und dann kam doch wieder alles anders. Am Dienstagnachmittag wurde das Totalverbot für das umstrittene Pflanzenschutzmittel mit den Stimmen der SPÖ und der FPÖ vereinbart. Damit ist Österreich der europäische Vorreiter. Die ÖVP war mit dem eigenen Gegenantrag nicht durchgekommen, der Glyphosat lediglich für private Anwendungen sowie auf öffentlichen Flächen untersagt hätte. Infolge dessen  “Schlag ins Gesicht der Bauern, die den Wirkstoff sachgerecht anwenden”.

So schnell kann es gehen: Von “wahrscheinlich krebserregend” zu risikoarm und zurück

Gut und schön. Jetzt fragen sie sich wie die BOKU Wien zu diesem doch etwas konträren und überraschenden Schluss kommt, dass der Unkrautvernichter Glyphosat, den die WHO als “warscheinlich krebserregend” einstuft, kein Problem darstellt? Nicht etwa in dem man eine neue Studie über den Wirkstoff durchgeführt hat. Nein, vielmehr wurden zusammen mit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) über ein Jahr lediglich 400 bestehende Studien erneut ausgewertet und interpretiert.

Wo uns Glyphosat begegnet

Der Wirkstoff wurde bereits in Getreideprodukten wie Brot, Honig, Hülsenfrüchten, Wein und vielen anderen Lebensmitteln sowie Gesundheitsprodukten aus Baumwolle wie Verbandsmaterial und Tampons gefunden. Global 2000 fand bei einer Untersuchung von Teeproben ebenfalls Rückstände von Glyphosat. Fakt ist: Es gibt eine dauerhafte Belastung der Konsumenten mit dem von der WHO als “wahrscheinlich krebserregend” eingestuften Mittel. Bei einer großangelegten Untersuchung wurde Glyphosat im Urin von über 99 Prozent von 2.000 freiwilligen Testpersonen aus Deutschland nachgewiesen.

Studien gäbe es in der EU schließlich bereits genug, erläuterte Boku-Forscherin Siegrid Steinkellner. Im Übrigen sei ein Totalverbot des Unkrautvernichters in Österreich ohnehin nicht möglich, weil das gegen EU-Recht verstößt. Von der WHO-Einstufung als “wahrscheinlich krebserregend” gibt sich Steinkellner unbeeindruckt: Auf der Liste fänden sich- neben anderen Chemikalien – auch Nachtarbeit, heiße Getränke und rotes Fleisch.”Wer am Wochenende gegrillt hat, hat sich vielen Gefahren ausgesetzt”, so die Forscherin. Wer mit Glyphosat gespritztes Gemüse isst, ernährt sich dagegen offenbar unbedenklich. Dass man sich solches einverleibt, ist übrigens ziemlich wahrscheinlich. 242 Tonnen davon wurden 2018 in Österreich verkauft. Die Rückstandsdaten von 1.124  hierzulande untersuchten Lebensmittelproben aus konventioneller Produktion ließen auf “keine Gefahr für die menschliche Gesundheit” schließen, heißt es von BOKU-Seite. Nur eine Probe (Honig) lag über dem Rückstandshöchstgehalt. In 92 Prozent waren keine Rückstände bestimmbar. Zudem würden keine gesicherten Belege vorliegen, dass “Glyphosat die Artenvielfalt stärker beeinflusst als andere Maßnahmen zur Unkrautregulation”. “Die analysierten Studien über Glyphosat-Effekte auf Pflanzen, Mikroorganismen und Tiere ergeben keinen fachlich fundierten Rückschluss auf einen Rückgang der Biodiversität durch Glyphosat-Einsatz.” Abgesehen davon gäbe es im Ackerbau “keine alternativen Herbizide mit vergleichbarer Wirkungsbreite”. Modellergebnisse hätten gezeigt, dass alternative Behandlungsverfahren negative ökonomische Auswirkungen hätten. Die Änderungen im Deckungsbeitrag auf den Anwendungsflächen würden bei günstigen Bedingungen bis zu minus neun Prozent, bei mäßigen bis zu minus 36 Prozent und bei ungünstigen Bedingungen bis zu minus 74 Prozent betragen.

Hofer: Ja, nein, vielleicht?

Das Zünglein an der Waage bei der Abstimmung war übrigens FPÖ-Chef Norbert Hofer. Der präsentierte sich nämlich am Samstag vor der Wahl im Standard als Wackelkandidat und erklärte, dass seine vor drei Wochen angekündigte Zustimmung doch „noch nicht entschieden“ sei. Bei Greenpeace kombinierte der Landwirtschaftsexperte der NGO, Sebastian Theissing-Matei: “Die Veröffentlichung der sogenannten Machbarkeitsstudie genau einen Tag vor der entscheidenden Abstimmung zu einem umfassenden Glyphosat-Verbot im Parlament, ist ein leicht durchschaubares politisches Manöver”. Das mit der Studie veröffentlichte Rechtsgutachten sei vom 9. Dezember 2017. Seither lägen neue wissenschaftliche Erkenntnisse zur Gefährlichkeit von Glyphosat vor. Global 2000 widerlegte dann noch schnell das ÖVP-Argument der „Rechtswidrigkeit“  Das zugrunde liegende Rechtsgutachten sei von der Partei selbst beauftragt worden und werde seither unter Verschluß gehalten und habe außerdem wenig mit der Realität zu tun, wie das Beispiel Frankreich zeige. Das hatte bereits 2016 im Alleingang das umstrittene Insektizid Chlorpyrifos aus dem Verkehr gezogen und im September 2018 alle neonicotinoid-artigen, bienengefährlichen, Pestizide.

Die Reaktionen

Massive Kritik kam erwartungsgemäß nicht nur von der ÖVP, sondern auch von der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP). Dort spricht man von einem “freien Spiel der Unvernunft”. Der Beschluss sei “keine verantwortungsvolle Politik und Populismus auf dem Rücken der heimischen Landwirte”. Begrüßt hat das österreichische Glyphosat-Verbot dagegen die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze. “Die Entscheidung des österreichischen Nationalrates bedeutet Rückenwind für den Glyphosat-Ausstieg in Deutschland”, sagte ein Sprecher der SPD-Politikerin. Einen ähnlichen Vorstoß plant das Ministerium allerdings offensichtlich nicht. Der deutsche Ausstieg werde “wie im Koalitionsvertrag vereinbart” erfolgen, “schrittweise bis spätestens 2023”. “Den größten Teil der Anwendungen werden wir schon deutlich früher beenden. Dabei werden wir uns an geltendes EU-Recht halten.”  Und was sagt der Bayer-Konzern eigentlich? Der hat Österreichs Glyphosat-Verbot mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Man gehe aber davon aus, dass der Beschluss “von der EU-Kommission kritisch hinterfragt und rechtlich angefochten” werde.

Lesen Sie auch unseren Artikel Pestizid-Alternative aus Tirol