In deren Welt gibt’s beim Fleischhauer vegetarische Fertiggerichte, Fleischtiger schreiben Vegetarier-Kolumnen und Leberkäse-Produzenten kreieren vegetarische Würstel.

Flexitarisch essen, das heißt nur gelegentlich Fleisch essen, dann aber von guter Qualität. ©Unsplash

Wir schreiben 2009. Es ist Ende August, die Hitze brennt, und am Wochenende wollen wir im Waldviertel grillen. Sie hätte da noch ein paar Paar Würschtel, die müssten eh weg, meinte meine Mutter. „Du weißt aber schon“, gab ich, damals Vegetarierin, zu bedenken, „dass deine Debreziner tendenziell eher nicht vegetariergeeignet sind?“ Worauf wir uns aufmachten, Sojawürschtel und Seitan-Steak zu erwerben (Weizenprotein – für alle, die’s nicht wissen). Ich sage es rund heraus: Wir waren nicht erfolgreich. Am Ende des Tages saß ich frustriert mit Zucchini und Erdäpfel herum. Ich meine, Zucchini und Erdäpfel. Wessen Vorstellung von perfektem Grillzeug ist das? Heute? Heute würde man nicht einmal mehr im Waldviertel in eine solche Bredouille kommen. Selbst dort findet sich der Beyond Meat Burger inzwischen wirklich in jedem kleinen Nest im Supermarktregal. Warum? Weil es inzwischen 765.000 Vegetarier und mehr als 80.000 Veganer in Österreich gibt – Tendenz steigend? Ja, auch deswegen. Allem voran aber führt der boomende Flexitarismus zu einem besseren Angebot dieser Art. Flexetarier sind sehr maßvolle, auf Tierschutz bedachte und sehr qualitätsbewusste Fleischesser, die aber auch sehr gern auf fleischlose Alternativen zurückgreifen. Selbst mancher Fleischhauer hält den Verzehr von weniger Fleisch für Mensch und Umwelt mittlerweile durchaus für sinnvoll und bringt nebst Debrezinern auch vegetarisches an den Mann, die Frau und auf den eigenen Tisch. Da gibt’s dann wahlweise überbackenen Schweinsschopf auf Riesenrösti oder Erdäpfel-, Spinatstrudel mit Kräutersauce als Menü, wie heute bei der Fleischerei Moshammer in Graz.

Scheinheiligkeit kann die Welt besser machen

In ganz großem Stil umgeschwenkt ist  Leberkäse-Kaiser Hermann Neuburger („Sagen Sie niemals Leberkäse zu ihm“). Um auch vegetarische Würstel & Co. auf Basis von Kräuterseitlingen herzustellen, investierte er rund 40 Millionen Euro in acht Schwammerlzuchthallen. „Wir treten schon lange dafür ein, dass zwei Mal Fleisch pro Woche genug ist“, sagt er. 76 Tonnen Schwammerl hat er 2018 verarbeitet.

Leberkäse-Produzent Neuburger verarbeitet heute 76 Tonnen Schammerl pro Jahr zu Veggie-Würsteln & Co. ©Neuburger

Einer, der Fleisch essen und das Engagement für die vegetarische Küche ebenfalls unter einen Hut bringt, ist der Londoner Promikoch Yotam Ottolenghi. Der schrieb als bekennender Fleischesser nicht nur drei Jahre die “New Vegetarian“-Kolumne des Guardian, sondern riet seinen Lesern dort auch schon mal, ein knuspriges Backhendl zum frischen Rohkostsalat zu versuchen. Das brachte ihm zwar hasserfüllte Leserbriefe ein, hielt ihn als bekennender “gemüseliebender Allesfresser“ aber nicht davon ab, auch noch das vegetarisches Kochbuch “Plenty“ zu schreiben, das bei Amazon UK sofort auf Platz 3 schoss.

“Ich esse jedes Teil von jedem Tier”, sagt Ottolenghi, für den Fleisch essen und für den Vegetarismus eintreten kein Widerspruch ist.

Auch “Tiere essen“-Autor Jonathan Safran Foer hält es mit der Flexibilität. Würste zu essen, würde er keinem zum Vorwurf machen. Lediglich findet er: Man solle es nicht dauernd tun. “Ein Freund von mir hat gesagt, ich würde ja gern mit dem Fleischessen aufhören, aber bei meiner Oma gibt es immer Roastbeef, das esse ich so gern. Ich hab ihm gesagt: Dann iss es! Aber iss kein Fleisch mehr in Restaurants oder bei McDonald’s. Darauf antworten manche: Aber das ist doch scheinheilig. – Okay, dann ist es eben scheinheilig! Das Ziel ist ja nicht, ethisch rein zu sein, sondern die Welt besser zu machen.“

Der Flexitarismus-Boom

Der Flexetarismus verbindet so unterschiedliche Menschen wie Mosshammer und Neuburger mit Ottolenghi, Safran Foer und bereits der Hälfte der Österreicher, die laut Statistik Austria angibt, darauf zu achten, nur wenig Fleisch zu essen. In Wien gab es den zugegeben nicht sehr erfolgreichen Versuch, nach dem Vorbild Gent (Belgien) und Wiesbaden einen “Veggieday“ einzuführen, an dem jeder auf Fleisch verzichtet – mit dem langfristigen Ziel, Kantinen in Kindergärten, Spitälern, Schulen und anderen Einrichtungen dazu zu bringen, donnerstags nur Fleischloses anzubieten. Und auch das laufende Projekt “Halbzeitvegetarier“ ( www.halbzeitvegetarier.de) schlägt in diese Kerbe: Ein Web- und Facebook-Portal, das sich an Fleischesser richtet, die ihren Fleischkonsum sichtbar reduzieren wollen. Das EU-geförderte Projekt ist eine Initiative von Katharina Rippler, die selbst Vegetarierin ist. Ihre zentrale Idee: Zwei halbe Vegetarier sind ein ganzer – also zwei Menschen entscheiden sich, nur noch halb so viel Fleisch zu essen. Beide beobachten ihren wöchentlichen Fleischkonsum und halbieren ihn. Eine gänzliche Trennung vom Fleisch ist auch dabei kein großes Thema.

Seitan aus dem Waldviertel? Gibt’s

Und was sagt die Umwelt dazu, die vom Flexitarier-Boom ja profitieren soll? Da ist man sich nicht ganz einig. Während einige Forscher pro argumentieren, sehen das andere enger, etwa die britische Cranfield-University: Dort sagt man: Wer statt einheimischem Rind oder Schwein etwa das rein vegetarische Produkt Tofu auf den Teller bringt, esse nicht ökologischer. Ganz im Gegenteil, denn für Soja-Plantagen werde in der Dritten Welt oft Urwald gerodet, und die Herstellung von Tofu verschlinge viel Energie. Nach Ansicht der britischen Forscher nützen Flexitarier der Umwelt nur, wenn sie das Fleisch durch Brot, Pasta, Kartoffeln und Gemüse ersetzen. Die andere Option wäre Seitan aus dem Waldviertel. Den produzierte übrigens schon damals bei der eingangs erwähnten Grillerei ein paar Orte weiter ohne mein Wissen Edmund Reininger. Und der sagt: Es sei ganz einfach, die Leberkässemmel gegen ein mit Seitan gefülltes Bioweckerl zu tauschen. Das zugehörige Weckerl zu seinem „Seitan-Burger“ produzierte übrigens schon vor Jahrzehnten der preisgekrönte erste Slow-Food-Bäcker Österreichs, Erich Kasses. Nur wissen muss man es halt. Und darf nicht glutenintolerant sein.

http://www.seitan.at