Vegane Ernährungsformen gewinnen immer mehr Anhänger, insbesondere auch unter jungen Frauen. Was aber bedeutet vegane Ernährung für die Stillzeit?

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Was eine vegane Ernährung in der Stillzeit betrifft, so sind die Meinungen in der Fachwelt geteilt. Einige Fachgesellschaften erachten sie jedenfalls nicht als eine ideale Kostform in dieser Lebensphase. So wird eine vegane Ernährung für Schwangere, Stillende, Säuglinge, Kinder und Jugendliche von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) nicht empfohlen (DGE 2016), die Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) teilt diesen Standpunkt (ÖGE 2016). Die DGE begründet ihre Position damit, dass in einer sensiblen Lebensphase wie der Stillzeit aufgrund des hohen Anspruchs an die Nährstoffdichte ein höheres Risiko für eine Unterversorgung bzw. einen Nährstoffmangel bestehe. In der Folge könnten die Entwicklung und die Gesundheit des Kindes Schaden nehmen. Mögliche Schäden seien unter anderem: Störungen der Blutbildung (Eisen- und Vitamin-B12-Mangel), Wachstumsverzögerung (Energie-Protein-Malnutrition) und teilweise irreversible neurologische Störungen wie mentale Retardierung (Mangel an Vitamin B12 und Jod). Eine unzureichende Versorgung der Mutter mit der langkettigen Omega-3-Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) könne zudem die Entwicklung von Gehirn und Retina des Säuglings negativ beeinflussen.

Die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics, ein Verband von Ernährungsfachkräften entsprechend den Diätologen, hingegen stellt in einem Positionspapier fest, dass bei abwechslungsreicher Lebensmittelauswahl auch vegane Ernährungsformen für alle Altersgruppen und in jeder Lebenssituation als bedarfsdeckend angesehen werden können (Marin et al. 2016; Fallmann und Widhalm 2018). Allerdings ist laut Academy of Nutrition and Dietetics während Schwangerschaft und Stillzeit besondere Aufmerksamkeit auf eine ausreichende Versorgung mit Eicosapentaensäure (EPA)/Docosahexaensäure (DHA), Eisen, Zink und Vitamin B12 zu legen.

Nährstoffe im Blickpunkt

„Zu den kritischen Nährstoffen bei veganer Ernährung zählen essenzielle Aminosäuren, Omega-3-Fettsäuren, die Vitamine B12 und D, die Mineralstoffe Kalzium, Eisen und Zink sowie Jod“, fasst Ass.-Prof. Dr. Petra Rust, Ernährungswissenschafterin am Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien, zusammen. Im Vergleich zu tierischen Lebensmitteln sind diese Nährstoffe in pflanzlichen Produkten in geringeren Mengen enthalten. Darüber hinaus ist bei einigen die Bioverfügbarkeit schlechter.

Für Veganer ist es daher besonders wichtig, die richtigen pflanzlichen Nährstoffquellen zu wählen und bei Bedarf besondere, mit essenziellen Nährstoffen angereicherte Produkte oder Supplemente in den Speiseplan zu inkludieren (Gatternig und Widhalm 2013). Darüber hinaus ist es ratsam, regelmäßig Laborkontrollen zur frühen Erfassung von möglichen Unterversorgungen durchführen zu lassen.

Eine vegane Ernährung während der Stillzeit erfordert also eine besonders sorgfältige und gute Planung (Baroni et al. 2019; Rust 2020).

Proteine / essenzielle Aminosäuren

„Den in der Stillzeit um etwa die Hälfte erhöhten Proteinbedarf zu decken, ist bei rein pflanzlicher Ernährung schwieriger als bei Mischkost“, so Rust, „Schwangere und Stillende sollten daher besonders auf die Bioverfügbarkeit und die biologische Wertigkeit der Proteine achten. Während die biologische Wertigkeit tierischer Proteine bei durchschnittlich 80 bis 100 liegt, erreichen pflanzliche Proteine im Schnitt 70 bis 80 im Vergleich zum Referenzprotein Vollei mit 100.“ 

Die Bioverfügbarkeit bzw. biologische Wertigkeit pflanzlicher Proteine lässt sich durch verschiedene Maßnahmen aber steigern, erläutert Rust, zum Beispiel durch Erhitzen oder Ankeimen oder durch die gezielte Kombination verschiedener pflanzlicher Proteinquellen: „Getreide enthält beispielsweise relativ viel Methionin, ist aber arm an Lysin, Threonin und Tryptophan. Wird Getreide mit Hülsenfrüchten kombiniert, die sehr viel Threonin und Tryptophan, aber wenig Methionin enthalten, kann man den Bedarf an essenziellen Aminosäuren ziemlich gut decken.“ Anders gesagt: Mit einer Mischung von zum Beispiel Mais und Bohnen im Verhältnis 1:1 erreicht man immerhin eine Wertigkeit von 99, also deutlich mehr als mit Mais oder Bohnen alleine mit 72 bzw. 73. Die verschiedenen Proteinquellen können auch über den Tag verteilt aufgenommen werden.

  • Für eine ausreichende Versorgung mit Proteinen werden in der Stillzeit zusätzliche Mahlzeiten auf Basis hochwertiger pflanzlicher Proteinquellen wie Soja und Sojaprodukte, Pseudocerealien wie Buchweizen, Quinoa und Amaranth sowie Samen und Nüsse empfohlen (Baroni et al. 2019).
  • Durch die Kombination pflanzlicher Proteine, zum Beispiel Getreide und Hülsenfrüchte, kann die biologische Wertigkeit gesteigert werden.

Omega-3-Fettsäuren

Das Fettsäuremuster der Muttermilch wird von der Qualität der Fette, die sich die Stillende zuführt, beeinflusst. Fette Fische als Quelle für DHA stehen einer Veganerin nicht zur Verfügung, aber DHA kann auch aus Alpha-Linolensäure (ALA) synthetisiert werden. „Wir wissen wenig über die Konversionsrate von ALA zu DHA, aber Studien zeigen, dass die Umwandlung bei Frauen besser funktioniert als bei Männern, insbesondere dann, wenn wir eher wenig DHA zuführen“, erläutert Rust. Veganer haben zwar verglichen mit Omnivoren einen niedrigeren Omega-3-Fettsäurespiegel, dieser ist aber relativ konstant. Omega-3-Fettsäuren sind – in geringen Mengen, aber doch – auch in pflanzlichen Ölen wie Raps-, Walnuss- oder Leinöl enthalten. 

  • In der Stillzeit werden zwei zusätzliche Mahlzeiten reich an Omega-3-Fettsäuren pro Tag empfohlen (Baroni et al. 2019).
  • Die Zufuhr ausreichender Mengen von Omega-3-Fettsäuren kann durch angereicherte Lebensmittel und Nährstoffpräparate auf Basis von Algen unterstützt werden (DGE 2016).

Vitamin B12

Vitamin B12 nimmt eine besondere Stellung ein, da es aufgrund der vermehrten Zellteilung gerade während Schwangerschaft und Stillzeit von zentraler Bedeutung ist und mit pflanzlicher Nahrung praktisch nicht zugeführt wird. Studien zeigten eindeutig, dass Ovo-Lakto-Vegetarier Vitamin B12 meistens supplementieren, Veganer fast immer (Damayanti et al. 2018).

Vitamin B12 wird zwar im Zug der bakteriellen Fermentation gebildet – Sauerkraut zum Beispiel enthält Spuren davon. Es sei allerdings unklar, wie gut dessen Bioverfügbarkeit ist, wendet Rust ein, für die Deckung des Bedarfs sei es auf jeden Fall zu wenig. Dasselbe gilt für Meeresalgen. Als Vitamin-B12-Quelle für Veganer sind unter anderem Produkte auf Basis von Cyanobakterien wie Spirulina im Gespräch. Allerdings ist das darin enthaltene Vitamin B12 für den Menschen kaum wirksam und daher zur Bedarfsdeckung ebenso wenig geeignet, betont Rust. Da seien angereicherte Lebensmittel effektiver. Allerdings müssten angereicherte Produkte dreimal täglich konsumiert werden, um einen ausreichenden Spiegel zu erreichen, daher wird eine Supplementierung empfohlen (Baroni et al. 2019)

Vitamin B12 wird als einziges wasserlösliches Vitamin sehr lange im Körper gespeichert, nämlich eineinhalb bis zwei Jahre. Für stillende Mütter ist daher relevant, wie lange sie sich bereits vegan ernähren, da bei der Umstellung von Mischkost nicht sofort ein Mangel auftritt.

  • Die in fermentierten Produkten enthaltenen Mengen von Vitamin B12 sind sehr gering und können den Bedarf nicht decken.
  • Angereicherte Produkte sichern nur bei hoher Aufnahme eine ausreichende Versorgung.
  • Die DGE sowie die österreichische Nationale Ernährungskommission (2016) empfehlen für Veganer in jedem Fall eine Supplementierung mit Vitamin B12.

Vitamin D

„Auch ein Mischköstler deckt seinen Vitamin-D-Bedarf nur zu circa zehn bis 20 Prozent über seine Ernährung“, so Rust. Der Rest kommt aus der Eigensynthese über die Haut, die unter anderem von Hautfarbe, Jahreszeit, Aufenthaltsdauer im Freien und Kleidung abhängt. Eine Mangelversorgung ist vor allem im Winter und im Frühjahr möglich.

  • Pilze wie Champignons oder Eierschwammerl und angereicherte Lebensmittel können zur Vitamin-D-Versorgung beitragen
  • Vor allem im Winter und Frühjahr und bei Personen, die sich viel in geschlossenen Räumen aufhalten, kann eine Supplementierung sinnvoll sein – eine Kontrolle der 25(OH)-Vitamin-D-Plasmakonzentration vorausgesetzt.

Kalzium

Der Bedarf in der Stillzeit ist zwar nicht erhöht, da aber die wichtigsten Kalziumquellen Milch- und Milchprodukte bei Veganern wegfallen, ist verstärktes Augenmerk auf die Kalziumversorgung zu legen.

  • An pflanzlichen Quellen für Kalzium sind vor allem grünes Blattgemüse mit geringem Oxalatgehalt, Kohlgemüse und Tofu zu nennen (Baroni et al. 2019). Dazu Rust: „Einweichen, Keimen und Kochen verbessert die Bioverfügbarkeit des Kalziums aus Gemüse.“
  • Nüsse wie Haselnüsse, Mandeln oder Paranüsse haben einen relativ hohen Gehalt an Kalzium, ebenso Sesam und Feigen (Baroni et al. 2019).
  • Für Veganer empfiehlt die DGE auch mit Kalzium angereicherte Produkte sowie Kalzium-reiches Mineralwasser (>150mg pro Liter).

Eisen

Der Bedarf von Eisen in der Stillzeit ist um rund ein Drittel erhöht, doch auch hinsichtlich Eisen sind pflanzliche Lebensmittel nicht die besten Quellen. „In pflanzlichen Lebensmitteln liegt dreiwertiges Eisen vor, und das wird weniger gut resorbiert als das zweiwertige Eisen aus tierischen Produkten,“ so Rust.

  • Vollkorngetreide und Hülsenfrüchte, Soja und Sojaprodukte, Nüsse und Samen sowie grünes Blattgemüse enthalten relativ viel Eisen, dessen Resorption sich durch die Kombination mit Vitamin-C-Quellen (Obst, Gemüse) oder Karotin verbessern lässt (Baroni et al. 2019).
  • Auch hinsichtlich der Aufnahme von Eisen aus pflanzlichen Nahrungsmitteln spielt die Zubereitung eine große Rolle: Einweichen, Keimen und Kochen verbessern die Bioverfügbarkeit.

Zink

Getreide und Hülsenfrüchte und auch Soja enthalten zwar relativ viel Zink, das jedoch aufgrund der Bindung an ebenfalls reichlich enthaltene Phytate teilweise nicht resorbierbar ist. „Die Empfehlungen für die Zufuhr von Zink orientieren sich daher am Phytatgehalt der Nahrung“, erklärt Rust, „Ist dieser wie bei Veganern besonders hoch, weil viele Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte konsumiert werden, ist die Zufuhrempfehlung dreimal so hoch wie bei niedrigem Phytatgehalt.“ Hohe Kalziumkonzentrationen verstärken übrigens den Effekt der Phytate, weil unlösliche Kalzium-Zink-Phytinsäure-Komplexe entstehen können.

Phytate können übrigens nicht nur mit Zink, sondern auch mit anderen Mineralstoffen wie Kalzium, Magnesium und zweiwertigem Eisen schwerlösliche Komplexe bilden, die nicht resorbierbar sind. 

  • Die Kombination von vor allem Getreide oder Hülsenfrüchten mit Vitamin-C-Quellen erleichtert die Resorption von Zink (Wegmüller et al. 2014).
  • Einweichen, Ankeimen oder Sauerteiggärung kann den Phytatgehalt verringern und dadurch die Bioverfügbarkeit von Zink erhöhen.
  • Hefe ist eine gute Quelle für Zink.
  • Der Phytatgehalt von Nüssen ist gering, sodass sie ebenfalls eine gute Zink-Quelle darstellen.

Jod

Der Bedarf an Jod in Binnenländern wird primär über jodiertes Speisesalz gedeckt. Die DGE (2016) empfiehlt daher, jodiertes Speisesalz und damit hergestellte Lebensmittel zu verwenden. In der aktuell durchgeführten Studie „Risiken und Vorteile der veganen Ernährung“ (RBVD) zeigten Messungen der Jodausscheidung im Urin eine Unterversorgung mit Jod in der deutschen Bevölkerung, insbesondere bei veganer Ernährung. Bei einem Drittel der Veganer lag der Wert sogar unter dem WHO-Grenzwert für eine schwere Unterversorgung (Weikert et al. 2020).

  • Alternativ zu üblichem jodiertem Speisesalz kann mit Meeresalgen versetztes Speisesalz verwendet werden.
  • Getrocknete Algenprodukte mit einem Jodgehalt von mehr als 20mg/kg stuft das deutsche Bundesinstitut für Ernährung als gesundheitsschädlich ein, da es zu Störungen der Schilddrüsenfunktion kommen kann.

Weitere interessante Artikel zum Thema Ernährung finden Sie im JEM, dem Journal für Ernährungsmedizin.

Literatur:

Baroni L, Goggi S, Battaglino R, et al. Vegan Nutrition for Mothers and Children: Practical Tools for Healthcare Providers. Nutrients 2019; 11: 5

Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK). Empfehlungen der Nationalen Ernährungskomission: Vegane Ernährung. Wien, 03.11.2016

Damayanti D, Jaceldo-Siegl K, Beeson W, et al. Foods and Supplements Associated with Vitamin B12 Biomarkers among Vegetarian and Non-Vegetarian Participants of the Adventist Health Study-2 (AHS-2) Calibration Study. Nutrients 2018; 10: 722

Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE): Ausgewählte Fragen und Antworten zu veganer Ernährung, Dezember 2016. https://www.dge.de/wissenschaft/weitere-publikationen/faqs/ausgewaehlte-fragen-und-antworten-zu-veganer-ernaehrung/#c2899# (abgerufen am 26.08.2020)

Fallmann K & Widhalm K. Vegetarische Ernährungsformen. J Ernährungsmed 2018(1): 20–21

Gatternig K & Widhalm K. Vegane Ernährung Pro & Contra. J Ernährungsmed 2013(4): 23–24

Melina V, Craig W, Levin S. Position oft he Academy of Nutrition and Dietetics: Vegetarian Diets. J Acad Nutr Diet 2016; 116: 1970–1980

Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE): Ernährung in der Schwangerschaft und Stillzeit. https://www.oege.at/index.php/bildung-information/empfehlungen/personengruppen/1132-personengruppen-schwangere (abgerufen am 26.08.2020)

Rust P. Vegane Ernährung in der Stillzeit. Laktation & Stillen 2020(1): 14–17

Wegmüller R, Tay F, Zeder C, et al. Zinc absorption by young adults from supplemental zinc citrate is comparable with that from zinc gluconate and higher than from zinc oxide. J Nutr 2014; 144: 132–136

Weikert C, Trefflich I, Menzel J, et al. Vitamin and mineral status in a vegan diet. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 575–582