Gestern haben die Gentechnik-freien Wochen begonnen. Gentechnik wollen und brauchen wir nicht, sagen die Österreicher. Doch sind wir davor gefeit?

In Österreich und mehreren anderen EU-Staaten gibt es eigene Siegel, die Gentechnikfreiheit garantieren.

Über ein stinkendes, grünes Lüfterl habe ich mich 2011 beschwert. Und nicht nur ich übrigens. Es ging damals um das neue, gentechnisch nicht ganz einwandfreie grüne EU-Bio-Siegel. Warum mir die Sache so gestunken hat, ist einfach erklärt: Das nach wie vor aktuelle Label erlaubt eine gentechnische Verunreinigung von bis zu 0,9 Prozent. Oder um es mit den Worten der Einkaufsrevolutionärin Tanja Busse zu sagen:

“Also, ein bis zwei Flocken Genmais in einer Schale Müsli – das ist eigentlich nicht das, was ich mir unter Bio-Müsli vorstelle, sondern die schleichende Zwangsgewöhnung an Genfood und eine klare Missachtung unserer Bedürfnisse.“

Geändert hat sich bis heute daran nichts. Im EU-Sprech heißt es: “In Ausnahmefällen – bei nachweislich zufälligen und technisch nicht vermeidbaren Einflüssen – steht ein GVO-Anteil bis zum Schwellenwert von 0,9 Prozent der Kennzeichnung nicht entgegen. Herr und Frau Österreicher sind aber strikte Gentechnik-Gegner, wie eine neue marketagent.com-Umfrage gerade bestätigte. Für 85,2 Prozent der über 1.002 Befragten ist Gentechnik-Freiheit ein wichtiger Aspekt beim Einkauf.

Ist wirklich keine Gentechnik in unserem Essen?

“Hier müssen wir unterscheiden, ob tatsächlich gentechnisch veränderte Bestandteile verwendet wurden, oder ob das Produkt durch ,Zuhilfenahme von Gentechnik’ hergestellt wurden”, sagt man bei Global 2000. Letzteres heißt, dass beispielsweise gentechnisch veränderter Sojaschrot als Futtermittel für Nutztiere eingesetzt wird. Das Fleisch, die Milch oder die Eier sind dann nicht direkt gentechnisch verändert, zur Produktion wird aber Gentechnik eingesetzt. Kennzeichnungspflichtig ist das in der EU nicht. Die erlaubten 0,9 Prozent Gentechnik, das kann etwa Sojalecithin aus GV-Soja sein. Lebensmittel dürfen aber nur Spuren von in der EU zugelassenen GVOs enthalten. Diese Regelungen waren den Verhandlern von TTIP und CETA übrigens zu streng.

Label: „Ohne Gentechnik hergestellt”

Lebensmittel mit dem heimischen Qualitätszeichen „Ohne Gentechnik hergestellt“ werden in allen Stufen der Wertschöpfungskette ohne den Einsatz von Gentechnik produziert. Bei tierischen Produkten dürfen auch die Futtermittel keine Gentechnik enthalten. Die Einhaltung der strengen, im österreichischen Lebensmittel-Codex definierten Vorgaben, wird laufend von externen Kontrollstellen überprüft.

Gibt es ein Argument für die Regelung? Die EU sagt, Verunreinigung sei „technisch nicht vermeidbar“. Die Umweltschützer entgegen, dass das Problem erst dadurch entsteht, dass immer mehr Gentechnik angebaut und nach Europa importiert wird. In Österreich wird GV-Soja vorwiegend in der Schweine- aber auch Rindermast eingesetzt. Die Milch- und Frischeierbranche dagegen begann schon 2010 mit gentechnikfreier Fütterung und seit 2017 werden auch Hühner und Puten nur mehr so gefüttert. Und die so genannte neue Gentechnik? Darunter fallen Verfahren, mit denen etwa neue Pflanzensorten geschaffen werden. Aber auch an Tieren wird mit diesem neuen Verfahren bereits experimentiert. So gibt es bereits heute Versuche mit Schweinen deren Genom so manipuliert wurde, dass sie besonders viel Fleisch produzieren. Auch die wird von den Österreichern klipp und klar abgelehent. Und auch die EU ist aktuell noch auf Seite der Gentechnik-Gegner, obwohl mehrere Mitglieder, wie beispielsweise die Niederlande oder Finnland diese Verfahren von der bisherigen Gentechnik-Regulierung ausnehmen wollen. Erst kürzlich gab es eine Entscheidung des europäischen Gerichtshofs (EuGH), nach der Pflanzensorten auch als gentechnisch verändert gelten, wenn sie mit modernen Methoden wie der „Genschere“ manipuliert wurden. Mit der Genschere oder “Crispr” lässt sich DNA gezielt schneiden und verändern. Gene können eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden. Damit hat man ein Instrument in der Hand, mit dem man etwa Pflanzen ertragreicher oder resistenter machen kann.

Rauben wir Bauern mit dieser Entscheidung neue, klimaverträgliche Feldfrüchte?

Ja, sagt ein Konsortium von Wissenschaftlern aus 75 europäischen Forschungsstätten, darunter die heimische BOKU, nach der EuGH-Entscheidung und wagt den Widerstand. So schade man der Landwirtschaft, Gesellschaft und Wirtschaft. Im O-Ton gaben sich die Forscher „zutiefst besorgt, dass diese Entscheidung zu einem De-facto-Bann der innovativer Getreidezüchtung führen wird.” Die europäischen Bauern würden dadurch neuen Generationen von Klimawandel-verträglichen und nährstoffreicheren Feldfrüchten beraubt. Die würden aber dringend gebraucht, um den aktuellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen gewachsen zu sein. Im Übrigen seien Organismen, die einem einfachen und gezielten Eingriff in ihr Genom ausgesetzt waren, mindestens so sicher wie mit klassischen Zuchttechniken hergestellte Sorten, und nicht mit jenen zu vergleichen, wo fremde Gene eingeführt wurden. Vor Gentechnik schützt diese Entscheidung übrigens auch nicht. Denn weniger präzise, konventionelle Methoden der Genveränderung – etwa durch Chemikalien oder Bestrahlung – fallen nicht unter diese Regulierung. Diese Mutationsverfahren erzeugen zufällige Variationen in den Genomen der Pflanze, die irgendwann zu neuen Eigenschaften führen sollen. Fast gleichzeitig traf der EuGH übrigens noch ein Urteil:  Er entschied, dass der Import von gentechnisch veränderten Soja weiter erlaubt ist.  Mehrere NGOs hatten sich davor an den EuGH gewandt, weil sie die Risikobewertung der EU-Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA für die von Monsanto vertriebene genmanipulierte Sojabohne als unzureichend befanden. Der EuGH sah das anders. Und so fressen unsere Schweine munter weiter genmanipulierten Sojaschrot aus Übersee.
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