Tag der Lebensmittelvielfalt
Die Lebensmittelindustrie „feiert“ am 31. Juli den Tag der Lebensmittelvielfalt. Welchen Preis zahlen wir aber für diese vermeintliche Vielfalt?

Vielfalt aber Handwerk. Naturbäcker Martin Bräuer arbeitet mit regionalen Bauern, verwendet für seine handwerklich gefertigten Backwaren Zutaten aus der Heimat. Er rührt den Sauerteig so an, wie schon der Großvater und achtet auf eine lange Teigführung. ©BräuerMühlviertlerNaturbäcker
Man (Lebensmittelindustrie) klopft sich auf die Schultern und feiert, seit nunmehr sechs Jahren, den Tag der Lebensmittelvielfalt. Warum? „Die Unternehmen der österreichischen Lebensmittelindustrie sichern tagtäglich das breite Angebot an Lebensmitteln in Österreich. Dieses reicht von Produkten der Getreide-, Milch-, Fleisch-, Gemüse- und Obstverarbeitung über Gewürze, Süß-, Back- und Teigwaren, von Fertig- und Tiefkühlprodukten bis zu alkoholfreien und alkoholischen Getränken und vielem mehr,“ so der Fachverband der Lebensmittelindustrie. Alles schön und gut, oder eigentlich gar nicht, wenn man etwas genauer hinschaut.
Was macht die Lebensmittelindustrie ohne Bauern?
Martin Grassberger beschreibt in seinem Buch „Das leise Sterben“ die Situation der Landwirtschaft sehr kritisch. Abseits der „Industriellen Landwirtschaft“ seien es die klein- und mittelständischen Landwirte, die wirklich für Vielfalt sorgen und sich gegen den Trend der Uniformität stellen. Gerade kleine und kleinste bäuerliche und Betriebe würden mit einer qualitativ hochwertigeren Ernte aufwarten als große. Die globalisierte und konzerngetriebene Nahrungsmittelproduktion mit Monokultur und Massentierhaltung müsse vor allem erhebliche Geldsummen für den stets steigenden mechanischen und chemischen Input aufwenden. Dies schade langfristig der Umwelt und verursache damit Kosten für zukünftige Generationen. Nichts läge weiter entfernt von der Wahrheit als die Behauptung, konzerngetriebene Landwirtschaftspraktiken wären umweltfreundlich. Obwohl die Welt mehr Lebensmittel als je zuvor produziert, ist sie von wachsenden Monokulturen abhängig. Von 60000 bis 7000 prinzipiell verzehrbaren Pflanzenarten tragen weniger als 200 zur weltweiten Nahrungsmittelproduktion bei. Wirklich besorgniserregend ist vor allem die Tatsache, dass nur neun Pflanzenarten (darunter Zuckerrohr, Mais, Reis, Weizen, Kartoffeln und Sojabohne) zwei Drittel der weltweiten Produktion ausmachen. Wobei Mais, Reis und Weizen sechzig Prozent der weltweit benötigten Kalorien liefern. Auch innerhalb dieser Arten herrscht immer weniger Zuchtvariation. Dass ein Verlassen auf wenige Arten und Zuchtsorten, bei denen vor allem der Ertrag und weniger die Widerstandskraft und Klimaanpassung eine Rolle spiele, höchst anfällig für Katastrophen mache, habe die Geschichte mehrmals eindrücklich gezeigt. Der ständig zu hörende Leitspruch „Wachse oder Weiche“, der dem gegenwärtigen Strukturwandel in der Landwirtschaft zugrunde liegt, prägt die derzeitige Situation.
„Wenn man die Kontrolle über die Nahrungsmittel hat, hat man die Kontrolle über das Volk.“ (Henry Kissinger)
Die industrialisierte Nahrungsmittelproduktion sei, so Grassberger, geprägt von Globalisierung und Wettbewerb. Die Verarbeitung von Lebensmitteln wurde zu einer Wissenschaft, mit dem Ziel unwiderstehlich schmackhafte, billige und rasch wie praktisch zuzubereitende Lebensmittel zu produzieren. Es wurden ausgeklügelte Produktionsmöglichkeiten erfunden, um Gemüse ohne Erdboden zu kultivieren und Nutztiere unter Inkaufnahme sogenannter Produktionskrankheiten in wirtschaftliche effizienter Massentierhaltung herauszuzüchten, um die steigende Nachfrage nach Billigstfleisch sowie günstigen Eiern und Milchprodukten zu decken. Die Konsequenzen für Umwelt und menschliche Gesundheit, den Tierschutz und die kleinstrukturierte Wirtschaft ländlicher Gebiete sind bekannt. Das alles, um die Bedürfnisse der Kunden zu befriedigen. Welche das sind?: große, immer und überall verfügbare Auswahl zu günstigen Preisen, lange Haltbarkeit oder „immer frisch“ zu jeder Jahreszeit und vor allem immer mehr billiges Fleisch und günstige Milch. „Tja, wie geht das?“, fragt sich auch Grassberger zu recht. Die Antwort hätten industrielle Landwirtschaft, Nahrungsmittelindustrie und Supermarktketten mit bis zu 40.000 Produkten in ihren immer vollen Regalen. Ob das alles nun wirklich ein Grund zu feiern ist? Wohl kaum!



