“Sie erleben den eigenen Tod mit”
Alexander Rabitsch über das Leiden auf illegalen Schiffstransporten, “bequeme” Schlachtpraktiken und Behörden als Mittäter. Das Interview Teil II
Dem Tod live ins Auge sehen. Das ist es, was einem als Rind blüht, wenn man im Libanon landet. Die Schlachtpraktiken sind nämlich bequem. In 20 bis 30 Prozent der Schlachthäuser macht man es sich sogar so leicht, dass man das lebende Rind einfach aufhängt. Da sind dann auch 800 Kilo-Kaliber wehrlos. Hängen sie, wird ihnen der Hals durchgeschnitten. Oft braucht es mehr als einen Schnitt dafür. Selbst für den international anerkannten Tierschutzexperten Alexander Rabitsch ist das die schlimmste Pein, die ein Tier erfahren kann: „Es erlebt erst unglaublichen Schmerz und dann den eigenen Tod mit.“ Die Bilder ersparen wir ihnen.
bauernladen.at: Herr Rabitsch, was geht da genau vor sich beim Schächten in Ländern wie dem Libanon oder Marokko?
Alexander Rabitsch: Den Tieren werden nicht nur die Schlagadern durchtrennt. Das Blut wird auch über Arterien, die in Halswirbeln verlaufen, ins Gehirn gepumpt. Bis der Blutdruckabfall so groß ist, dass das Rind das Bewusstsein verliert, kommt sauerstoffgesättigtes Blut bis ins Gehirn, es spürt, empfindet und erlebt seinen eigenen Tod mit.
bauernladen.at: Bashen Sie arabische oder muslimische Staaten mit Ihrer Kritik an dieser Praktik?
Rabitsch: Mit Sicherheit nicht. Der größte muslimische Staat der Welt, Indonesien bezieht Fleisch aus Australien und Neuseeland, das allesamt von Tieren stammt, die elektrobetäubt geschächtet wurden. Schächten heißt, aus religiösem Ritus den Hals des Tieres quer durchschneiden und dabei Gott anrufen. Es heißt nicht, dass das Tier nicht betäubt werden darf. Wogegen wir massiv vorgehen, ist die Bequemlichkeit dieser Staaten an der Tradition zu haften und die Borniertheit am Beginn dieser Lieferkette – bei uns.
bauernladen.at: Vor grausamen Schlachtungen wie diesen liegt allerdings noch ein langer Weg. Wie schaut der aus?
Rabitsch: Nachdem unsere Kälber in Spanien gemästet wurden, werden sie mit 300, 400 Kilo ein halbes Jahr später mit dem LKW nach Tarragona gebracht. Von dort aus machen sie sich per Schiff auf nach Beirut. Für den Transport gibt es Fahrtenbücher, eine Art Transportplan. Durch Eintragungen werden die echten Transportbedingungen den geplanten gegenübergestellt. Mit dieser Materie haben sich bereits die Höchstgerichte beschäftigt und zwei Urteile gefällt: Das eine besagt, die Route ist zu bis zum Bestimmungsort zu planen. Das andere, dass das Fahrtenbuch tagesaktuell zu führen ist, bis zum ersten Entladeort im Drittbestimmungsland. Beirut ist aber nie Bestimmungs- oder Entladeort, sondern immer nur Umladeort auf LKWs. Die Tiere betreten meist die Erde gar nicht, sondern kommen direkt vom Schiff auf den LKW – teils kommt sogar ein Kran zum Einsatz. Der tatsächliche Bestimmungsort liegt irgendwo im libanesischen Hinterland oder in anderen Staaten. Bis dorthin müsste geplant werden. Inklusive der Zeitintervalle, die europäisches Recht vorschreibt. Die Planung endet aber immer in Beirut.
bauernladen.at: Wenn man bedenkt, dass so ein Schiff 6.000 Rinder fasst, ein LKW vielleicht 50 Jungrinder oder 30 erwachsene Stiere, da müssten eine Menge Fahrtenbücher geführt werden. Funktioniert dieses System?
Rabitsch: Nein, es kommt schon beim Beladen des Schiffes von den einzelnen LKW-Fuhren zu einer Vermengung der Tiere und noch stärker dann beim Abladen im Libanon. Kein Mensch hat dort mehr einen Überblick. Abgesehen davon können weit über 100 Fahrtenbücher niemals individuenspezifisch bis zum ersten Entladeort im Drittland geführt werden. Aus der Vergangenheit ist außerdem bekannt, dass in Spaniens Häfen nicht tierschutzkonform verladen wurde, sagt die EU-Kommission. Und sie sagt auch: Deshalb muss Vorsicht an den Tag gelegt werden. Auf der anderen Seite darf aber laut EU-Kommission von Koper (Slowenien), Raša (Kroatien) und Triest (Italien) ebenfalls aus Tierschutzgründen nicht verladen werden. Und wo wird verladen? In Koper, Raša und Triest. Das ist völlig widerrechtlich. Im Übrigen sind die lokalen LKWs, die die Tiere von Beirut weiter transportieren, gar nicht dafür zugelassen, weil das Land so etwas wie Tiertransport-LKWs gar nicht kennt.
bauernladen.at: Abgesehen vom Seeweg gibt es auch noch den Landweg. Unsere Zuchtrinder werden ja auch auf dem Landweg von Österreich nach Usbekistan transportiert? Wie sehen die Bedingungen da aus?
Rabitsch: Nicht weniger schlecht. Die höchstzulässige Transportdauer für Rinder am Stück ist 29 Stunden, 14 Stunden Transport, eine Stunde Ruhezeit, und dann noch mal 14 Stunden Fahrt. Rein rechtlich geht das aber – so wie’s gemacht wird – gar nicht. Zwei Fahrer dürfen maximal 18 Stunden fahren, zwei Mal die Woche 20 Stunden. 100 Prozent aller Transporte gehen mit einem Zwei-Fahrer-System aus Österreich weg. Es müsste also nach spätestens 20 Stunden ein zweites Fahrerpaar zusteigen. Und zwar vor Ort irgendwo in Kasachstan, Aserbeidschan, oder Tschetschenien. Wohlgemerkt zusteigen, nicht von Beginn an mitfahren. Das erste Fahrerpaar müsste den LKW verlassen. Das passiert natürlich nicht. Somit sind auch diese Transporte illegal. Es gibt eine durch Veterinärbehörden durchgeführte Plausibilitätsprüfung. Eigentlich können sie nicht sehenden Auges unter Rechtsbeugung so einen Transport zulassen, der gegen europäisches Recht verstößt. Sie tun es aber.
bauernladen.at: Jetzt ist es ja mit einmaligen 29 Stunden Transport nicht getan. Wie sieht die Pause aus?
Rabitsch: Nach den 29 Stunden müssen die Rinder abgeladen werden. Und zwar nicht irgendwo, sondern an einem zugelassenen Aufenthaltsort. Der muss russischem und europäischem Recht entsprechen. Und dafür müssen Zulassungsbestätigungen am Verladeort aufliegen. Letztes Jahr haben vier Amtstierärzte als Behördenvertreter überprüft, ob die agegebenen Routen überhaupt machbar sind, und ob es Aufenthaltsorte gibt. Das Ergebnis ist erschreckend: Angegebene Ställe gibt es nicht und wenn es sie gibt, sind sie nicht geeignet. In Moskau wurde beispielsweise einfach die Zentrale des Veteriärverbands angegeben. Fazit: Wir haben also keine oder keine geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten für Rinder, dennoch werden sie transportiert.
bauernladen.at: Die nächste auf der Hand liegende Frage ist: Wie geht es den Rindern in Usbekistan?
Rabitsch: Sie sind dort im Sommer Temperaturen von 40 Grad ausgesetzt. Man weiß, wie schwarzbunte Niederungsrinder unter Hitze leiden. Es gibt in der Forschungsanstalt Raumberg Gumpenstein jede Menge Arbeiten über ihre Hitzetoleranz. Die optimalen Temperaturen liegen bei 15 Grad, ab 25 Grad tritt Hitzestress ein. Man kann sich vorstellen, wie es den Rindern bei 40 Grad geht und muss sich fragen: Was hat das Niederungsrind in Usbekistan zu suchen? Wir wissen, dass es dort so gut wie keinen Herdenaufbau gibt. Das heißt, die Tiere erleiden in den UDSSR-Nachfolgestaaten ein ähnliches Schicksal wie im Libanon: Abkalben, Ausmelken, Schlachtung.
Muss man sich vor Augen halten, dass die Tiere mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Drittstaaten ein kurzes Leben haben, und dass sowohl die Vorbereitungshandlungen als auch der eigentliche Schlachtvorgang tierquälerisch sind. Mit diesem Wissen bezeichnen wir alle Personen, die mitwirken, Tiere dorthin zu verladen, als Mittäter oder als Gehilfen der Tierquälerei.
bauernladen.at: Was kann jeder einzelne dazu beitragen, dass diese sinnlosen grausamen Transporte enden?
Rabitsch: Wir müssen auf der einen Seite aufhören, derartige Mengen an Fleisch zu essen und auf der anderen Seite das Fleisch der Tiere regional vermarkten. Es kann ja nicht sein, dass öffentliche Häuser, Spitäler, Kasernen usw. Kalbfleisch aus Dänemark oder den Niederlanden beziehen.
Wir exportieren unsere Babykälber in alle Welt und bekommen Kalbfleisch von aller Welt zurück. Ein Allerweltskalbfleisch.
Und es muss aufhören, dass Rindviecher einfach nur zum Zweck des Schlachtens in andere Länder geführt werden. Das Europaparlament hat sich bereits viermal für acht Stunden als Höchstgrenze für Tiertransporte ausgesprochen.
Lesen Sie auch Teil I unseres Interviews mit Alexander Rabitsch! “So viel wert wie ein Goldhamster”