Alexander Rabitsch über heimische Behörden-Borniertheit, die zu elenden Kälbertransporten führt, die eigentlich ungesetzlich sind. Das Interview Teil I

Am Beginn steht der Kälbertransport, am Ende die qualvolle Schlachtung in Ländern wie dem Libanon. ©animal’s angels

Wer ein männliches Kalb einer Milchrasse ist, ist Überschuss. Da ist keine Leistung zu erwarten. Und weil man sich von Überschüssigem gern trennt, will man so ein Kalb auch so schnell wie möglich weg haben. Und so heißt es, gerade mal 14 Tage alt, auf eine lange, furchtbare Reise gehen, deren erste Station Spanien ist. Dort ist zwar das Leben dann erst richtig schlecht, die Mästung aber billiger. Und Länder wie der Libanon nehmen die Jungrinder dann sechs Monate später gern, und schlachten sie unter unvorstellbaren Qualen. Dazwischen steht freilich noch einmal eine lange Reise per Schiff. Aber ist das alles gesetzeskonform? Wir haben den renommiertesten heimischen Tiertransport-Experten Alexander Rabitsch gefragt.

Geht es um Tiertransporte, ist Alexander Rabitsch ein europäischer Top-Experte. Er schult Verkehrspolizisten und Amtstierärzte in Österreich, Deutschland, Polen, Bulgarien, Lettland und Litauen, ist Gerichts-Sachverständiger, Buchautor, und berät NGOs.

bauernladen.at: Wie kommt es überhaupt dazu, dass zwei Wochen alte Kälber 19 Stunden nach Spanien transportiert werden dürfen?

Rabitsch: Die Kälber dürfen in diesem Alter tatsächlich bereits eine Langstrecke transportiert werden – neun Stunden Transport, eine Stunde Pause am LKW zur Fütterung und Tränkung, und dann weitere neun Stunden, gesamt also 19 Stunden. Die Fahrt vom Sammelzentrum in Salzburg nach Vic in Katalonien bei Barcelona dauert aber bei Einhalten der Höchstgeschwindigkeit mit Ver- und Entladezeit 21 Stunden, wäre also unzulässig. Wäre, weil Österreich seit Ende 2018 die Ver- und Entladezeit  plötzlich nicht mehr zum Transport rechnet. Entgegen der Meinung aller anderen 26 Mitgliedstaaten übrigens, für die ein Transport beginnt, sobald ein Tier den LKW betritt und endet, wenn das letzte Tier den LKW verlässt. Diese Rechtsmeinung hat Österreich ebenfalls 12 Jahre vertreten. Sie findet sich in einem Handbuch für Tiertransporte, das ich für das Gesundheitsministerium geschrieben habe.

bauernladen.at: Das heißt, unsere Kälber schaffen es nur durch diese Neuinterpretation überhaupt gesetzeskonform nach Katalonien?

Rabitsch: Richtig. Und wir haben auch nicht die strengste Gesetzgebung, wie die Landwirtschaftsministerin nicht müde wird, zu betonen, sondern im Gegenteil eine, die es möglich macht, dass die Tiere nach Spanien und dann weiter in den Libanon transportiert werden. Was macht es im Übrigen für einen Unterschied, wenn wir keine Schlachttiere in außereuropäische Drittstaaten transportieren? Dafür aber Masttiere, die drei Monate später geschlachtet werden? Was macht es denn für einen Unterschied, wenn wir Zuchttiere irgendwo hin in einen Drittstaat transportieren, wo die Kuh, wenn sie lebend ankommt, abkalben darf, ausgemolken wird und dann erst geschlachtet wird? Keinen. Deshalb stimmt es einfach nicht, dass wir die strengsten Tiertransportbestimmungen haben, strenger als in anderen Europäischen Ländern. Ich sehe es so: Da wird Schindluder mit Gesetzen getrieben. Und mit dieser Meinung stehe ich nicht alleine da. Selbst der Volksanwalt, an den ich mich gewandt habe, bestätigt die Missstände in der Verwaltung, die seiner Ansicht nach nur dadurch behoben werden können, dass Österreich wieder die ursprüngliche Rechtsmeinung vertritt.

bauernladen.at: Aktuell sind die Transporte ja leider noch im Gange. Was passiert da genau?

Rabitsch: Die Kälber kommen von irgendeinem Bauern, wo sie rein rechtlich 48 Stunden gewesen sein müssen, zur Sammelstelle in Salzburg und müssen dort sechs Stunden bleiben (Anm: wenn der Bauer über 100 Kilometer entfernt ist). Dann beginnt der eigentliche Transport, die Anfahrt zählt nicht dazu. Beim Bauern werden die Kälber zum letzten Mal mit Milch versorgt. Dazu muss man wissen:

Das sind Kälber, die der Bauer los werden muss, weil sie nichts wert sind. Sie sind männlich, werden nie Milch liefern, und es gibt ein Übermaß davon. Das heißt, sie werden schon beim Bauern nicht so gefüttert, wie die Kälber, die zur Zucht verwendet werden.  Diese Kälber, die zur Mast nach Spanien gehen, werden abgestoßen. Für 30 Euro bekommt man ein Kalb, das ist der Preis eines Goldhamsters.

Man kann davon ausgehen, dass sie schlecht gefüttert werden und unmittelbar vor Verladung vielleicht gar keine Milch oder Milchaustauscher bekommen, sondern Elektrolyte, also Mineralwasser. Auf Sammelstellen erhält ein Kalb in den meisten Fällen auch nur Elektrolyte und keinen Milchaustauscher. Auf dem Transport-LKW nach Vic findet es dann Metallnippel. Dass Metall etwas zum Saugen ist, ist ihm aber nicht klar. Es kennt nur Eimertränken mit Gummizitzen, kann lediglich den Mechanismus in Gang setzen und dann wird Wasser mit Überdruck ins Maul gespritzt. Selbst dort, wo dieses System einen Gummiüberzug hat. Und weil es nicht saugen kann, hört es damit auch bald wieder auf.

bauernladen.at: Die Kälber werden also schlecht getränkt und nicht gefüttert, über einen Zeitraum von weit über 30 Stunden? Warum ist das so?

Rabitsch: Genau. Eigentlich sollten sie nach der Hälfte der Fahrt Milch bekommen oder Milchaustauscher. Das geht am LKW aber nicht, weil die Leitungen durch den Milchzucker verkleben, die Flüssigkeit nicht temperiert ankommt und weil es nicht kontrollierbar ist, wie viel individuell aufgenommen wird. Wenn man das weiß, und auch, dass die Kälber dann in Vic weiter verteilt werden, ohne 48 Stunden Pause zu haben, dann weiß man, dass diese Transporte nicht bewilligungsfähig sind.

Kälber werden in drei mal 19 Stunden Tages-Etappen vom Baltikum bis zur holländischen Grenze, von dort nach Frankreich und von Frankreich nach Spanien transportiert.  Es ist nicht machbar, dass man Kälber tierschutzgerecht und rechtskonform dorthin bringt.

Deshalb spreche ich von Schindluder, das österreichische und andere Veterinärbehörden mit Kälbern treiben. Wir haben ein Vollzugsproblem. Die zentralen Behörden vertreten Viehhändlerinteressen statt Tierschutzinteressen.

bauernladen.at:  Allerdings haben wir nun mal auch eine Überproduktion an männlichen Kälbern.

Rabitsch:  Und warum kommt es dazu? Weil unsere Milch so hervorragend ist und in alle Himmelsrichtungen exportiert wird. Nur fallen dabei eben auch männliche Kälber an. Und dann haben wir ein paar Bauern – die Landwirtschaftskammer sagt ja, erhaltet uns die kleinbäuerlichen Strukturen, die gut davon leben, wenn sie noch eine Kalbin auf den Markt bringen. Diese Zuchtkalbinnen gehen dann nicht nur auf den österreichischen Markt, sondern in die zentralasiatischen Folgestaaten der ehemaligen UDSSR. So werden Rinder deshalb widerrechtlich von St. Veit an der Glan nach Usbekistan gebracht.

bauernladen.at: Wie kann das Dilemma durchbrochen werden?

Rabitsch: Es muss von Seiten der EU Incentives für die Bauern geben, damit sie nicht mehr auf Teufel komm raus produzieren und es am Ende einen Überschuss an Milch und Tieren gibt. Der dann nur dadurch abgebaut werden kann, dass die Tiere als Zuchtvieh nach Zentralasien verladen werden und von Frankreich aus nach Algerien, Marokko oder Tunesien.

Lesen Sie auch Teil II des Interviews mit Alexander Rabitsch nächste Woche. Es geht um die Weiterreise der Tiere per Schiff in den Libanon. Und das traurige Ende als ausgewachsenes Rind in einem Schlachthaus, das aufgehängt wird, und dem bei lebendigem Leib der Hals durchgeschnitten wird. Außerdem thematisieren wir die von Österreich ausgehenden, nicht gesetzteskonformen, Langstreckenstransporte per LKW.