Wir haben recherchiert, wie wohl sich Schweine tatsächlich fühlen, bevor auf ihrem Fleisch später ein Siegel platziert wird, dem wir vertrauen sollen.

Sich sauwohl fühlen: Davon sind Schweine unter den meisten gängigen Haltungsbedingungen weit entfernt. ©Unsplash

Wer ein zukünftiger “Schlachtkörper” ist, auf dessen Wohl wird in der Regel schon während seines Lebens wenig Wert gelegt. Von daher ist die Kastrierung von Ferkeln ohne jede Betäubung, das Kupieren des Schwanzes – dabei entfernt man den Ferkeln Schwanzwirbeln, die Kürzung von Eckzähnen völlig legal in Österreich. Genauso wie das Einsperren der gerade Mutter gewordenen Sauen in Kastenständen ohne jede Bewegungsmöglichkeit. Doch wie wird das bei verschiedensten Siegeln gehandhabt, die Tierwohl versprechen? Wir haben uns das genau angesehen und hinter die Kulissen der Gütezeichen Bio-Austria, Tierschutz-kontrolliert Silber und Gold, Tierwohl kontrolliert zwei Hakerl, Demeter und der EU-Bioverordnung geschaut. Und eines sei vorweggenommen: Genaues hinschauen lohnt sich.

Wie stehen die Label zur betäubungslosen Kastration

Die erste gute Nachricht folgt auf dem Fuß: Auf Bio-Austria Bauernhöfen ist das betäubungslose Herausschneiden der Hoden aus dem Bauchraum der Ferkel verboten. Ebenso Njet sagen dazu die Macher des Labels Tierschutz-kontrolliert Silber und Gold und die von Tierwohl kontrolliert 2 Hakerl. Etwas anders sieht es bei Demeter aus. Da ist entweder eine Betäubung oder das Verabreichen eines Schmerzmittels beim Kastrieren vorgesehen. Und jetzt bitte hellhörig werden: In der EU-Bioverordnung findet sich dazu keine Vorschrift. Im Umkehrschluss heißt das: Wer Schweinefleisch kauft, auf dem das EU Biosiegel klebt, kann sich nicht sicher sein, dass das Schwein während seines Lebens diese Qual nicht erleiden musste.

Werden noch Schwänze kupiert?

Umstritten ist auch das Kupieren von Schwänzen. Dieser Eingriff soll das Schwanzbeißen verhindern, eine Verhaltensstörung bei Schweinen, die ursächlich mit der zu engen Haltung der Tiere und keiner Beschäftigungsmöglichkeit zusammenhängt. Dabei wird mit einem heißen elektrischen Eisen – einem sogenannten elektrischen Schwanzkupierer – ein Stück des innervierten Schwanzendes abgeschnitten bzw. abgebrannt. In der EU ist das routinemäßige Kürzen von Ringelschwänzen eigentlich seit 1994 verboten. Dennoch wird es in den meisten Ländern in 99 Prozent der Schweinebetriebe durchgeführt und von den Behörden geduldet, sagt die Tierschutzorganisation Vier Pfoten. Nicht allerdings von den Institutionen, die hinter unseren untersuchten Siegeln stecken. Das Kupieren des Schwanzes ist ausnahmslos bei allen verboten.

Zähneschleifen/Klippen

Weil Ferkel das Gesäuge der Sauen und sich gegenseitig nicht verletzen sollen, werden ihnen die Eckzähne mit einer Zange abgekniffen. Sinnvoll ist das nicht unbedingt, wie unter anderem das Schweizer Bundesamt für Veterinärwesen in Bern nachwies. Dort hat man Ferkel in Abferkelbuchten und im Freiland gehaltene untersucht, und festgestellt: Bei 25 Würfen mit intakten Zähnen gab es zwar mehr durch die Zähne verursachte Gesichtsverletzungen, als bei 25 Würfen mit entfernten Zahnspitzen. Aber es starben nicht weniger, und sie nahmen nicht weniger zu. Die Euter der Mütter blieben unverletzt, die Sauen blieben nicht länger weg und sie säugten ebenso hingebungsvoll. Bei Demeter, Tierschutz kontrolliert Silber und Gold sowie Tierwohl kontrolliert 2 Hakerl sagt man deshalb gleich Nein zum Zähneschleifen. Bei der EU Bioverordnung und Bio-Austria ist es in Ausnahmefällen erlaubt. Wie oft es Ausnahmen gibt, lässt sich nicht nachvollziehen.

Wie viel Platz haben die Schweine überhaupt?

In der konventionellen Schweinehaltung hat ein ausgewachsenes Exemplar mit 110 Kilo lediglich 0,7 Quadratmeter Platz. Bei den untersuchten Siegeln ist das glücklicherweise mehr. Hervor tun sich in diesem Bereich die Gütesiegel Tierschutz kontrolliert Gold und Silber. Bei Fleisch, das später dieses Siegel trägt, haben erwachsene Schweine mindestens zwei Quadratmeter Stallboden Platz. Bei allen anderen sind es 1,5 Quadratmeter pro ausgewachsenen Tier. Bei allen Siegeln ist auch eine eingestreute Liegefläche Pflicht. Mindestens ein Drittel der Mindeststallfläche schreibt die Bio-Austria und die EU-Bioverordnung vor. Nur maximal die Hälfte des Stallbodens darf von Spalten bedeckt sein. So hält man es auch bei Demeter.

Gibt es noch Kastenstände?

Die unsägliche Praxis des Kastenstands ist leider nicht bei allen untersuchten Gütesiegeln verboten. Sie erinnern sich: Kastenstände sind körpergroße Einzelkäfige für Zuchtsauen, durch die fast jede Bewegung unmöglich gemacht wird. In der Regel verbringen heimische Zuchtsauen noch immer die Hälfte des Jahres in dieser Bewegunglosigkeit und können sich nicht um ihren Nachwuchs kümmern. Bei Bio-Austria und Tierwohl kontrolliert 2 Hakerl  ist der Kastenstand verboten. Anders hält man es bei Tierschutz kontrolliert Silber und Gold und Demeter. Bei ersteren dürfen Sauen maximal 10 Tage, bei zweiterem 14 Tage so gehalten werden. Gar keine Einschränkungen diesbezüglich gibt es auch hier in der EU-Bioverordnung.

Wie beschäftigen sich die Schweine?

Natürliche Verhaltensmuster wie Wühlen, Kauen, Erkunden oder auch die Futtersuche können unsere Zuchtschweine in der Regel heute gar nicht mehr ausleben. Dabei wäre genau das wichtig. Denn Verhaltensstörungen und Aggressionen sind oft dadurch bedingt, weil die klugen Tiere sich nicht artgerecht beschäftigen können. Doch wie halten es unsere Siegel damit? Beim Tierschutz kontrolliert Siegel Silber und Gold müssen Schweine zwei von drei Beschäftigungsmöglichkeiten bekommen. Wählen können die Landwirte dabei unter strukturierten Futtermitteln, Bekaubarem wie Seilen oder Holzbalken und Wühlmaterial. Bei den anderen Siegeln gilt nur das Wühlmaterial als Pflicht, beim Tierwohl kontrolliert 2 Hakerl Siegel zusätzlich allerdings auch eine Scheuermöglichkeit.

Können die Schweine raus?

Ja, die Schweine können bei allen überprüften Siegeln raus. Und zwar in der Regel in einen befestigten, Außenbereich. Dabei geht der Innenraum im Normalfall fließend in einen – oft auch überdachten – Außenklimabereich über. Bei den Siegeln Tierschutz-kontrolliert Silber und Gold und bei Tierwohl kontrolliert 2 Hakerl können die Tiere rund um das Jahr immer raus. Bei der EU-Bioverordnung und Demeter ist das im Prinzip auch so, allerdings gibt es da einen kleinen Zusatz: wenn es die Witterungsbedingungen erlauben. Bio Austria setzt aktuell auf mindestens 180 Tage Auslauf im Jahr. Unser Fazit: Hinter jedem der Siegel stecken bessere Lebensbedingungen für die Schweine, als die reine konventionelle Haltung ihnen bietet. Wer auf Bio wert legt, der muss wissen, dass die EU-Bioverordnung alleine vieles nicht regelt. Insbesondere gibt es keine Vorgaben zur betäubungslosen Kastration und keine Einschränkung der Kastenstandhaltung. Die Siegel der heimischen Bioverbände sind da deutlich strenger.

Bauernladen.at-Check:

Schweine-Tierwohl bei unterschiedlichen Gütezeichen

Bio Austria: ✔ 1,5 m² Platz/ausgewachsenem Tier, betäubungslose Kastration, Schwanzkupieren und Kastenstandhaltung verboten, max. 50 Prozent Spaltenboden, ein Drittel eingestreute Liegefläche, Wühlmöglichkeit, min. 180 Tage Auslauf,

✗ Kürzen von Eckzähnen in Ausnahmefällen erlaubt

EU Bio-Siegel: ✔ 1,5 m² Platz/ausgewachsenem Tier,  Schwanzkupieren verboten, Wühlmöglichkeit, max. 50% Spaltenboden, ein Drittel der Mindeststallgröße muss eingestreute Liegefläche sein, Auslauf, wenn es die Witterungsbedingungen erlauben.

✗ Kürzen von Eckzähnen in Ausnahmefällen erlaubt, keine Vorgaben zur betäubungslosen Kastration, Keine Einschränkung bei der Kastenstandhaltung

Demeter: ✔ 1,5 m² Platz/ausgewachsenem Tier, Schwanzkupieren verboten, Betäubung oder Schmerzmittel bei Kastration, Kürzen von Eckzähnen verboten, max. 50% Spaltenboden, eingestreute Liegeflächen, Wühlmöglichkeit, Auslauf ja, wenn möglich

✗ 14 Tage Kastenstandshaltung erlaubt

Tierschutz kontrolliert Silber/Gold: ✔ 2 m² Platz/ausgewachsenem Tier, betäubungslose Kastration und Schwanzkupieren verboten, max. 50 Prozent Spaltenboden, ein Drittel eingestreute Liegefläche, Schweine zwei von drei Beschäftigungsmöglichkeiten (Futtermittel, Bekaubares wie Seile oder Holzbalken,Wühlmaterial), Auslauf jederzeit, kann auch ein Außenklimabereich sein

✗ 10 Tage Kastenstandshaltung erlaubt, Spaltenboden/planbefestigte, eingestreute Liegeflächen

Tierwohl kontrolliert zwei Hakerl: 1,5 m² Platz/ausgewachsenem Tier, betäubungslose Kastration, Schwanzkupieren und Kastenstandhaltung verboten, Wühl- und Scheuermöglichkeit, Auslauf jederzeit, planbefestigt/mit Spaltenboden, mind. 10% nicht überdacht.

✗ rutschfeste Spaltenböden, eingestreute Liegeflächen