Ein Fünftel der Nutztierrassen ist global vom Aussterben bedroht, in Österreich über 40. Doch leidenschaftliche Bauern und Gene auf Eis bringen sie zurück.

Besonders fesche Vertreterinnen des Waldviertler Blondviehs. ©Nina Holzmann, Arche Hof Gumberger

Wie viele Tierrassen machen global heute 90 Prozent aller Nutztiere aus? Was würden Sie schätzen? 50, 100? Die Antwort erschüttert: Es sind 15. Diese Zahl stammt von den Vereinten Nationen. Und die Organisation sagt auch, dass fast jeden Monat eine weitere Nutztierrasse ausstirbt. Österreich ist dabei keine Insel der Seligen. Noch 2010 machten beispielsweise nur drei etablierte Rassen – Fleckvieh, Brown Swiss und Holstein – 93 Prozent des heimischen Rinderbestandes aus. Währenddessen wurden die alten einheimischen Rinderrassen wie Original Pinzgauer, Grauvieh, Original Braunvieh, Tux-Zillertaler, Pustertaler Sprintzen oder Ennstaler Bergschecken beinahe verdrängt. Genauso wie die 1947 noch als Gelbvieh geführten Rassen Murbodner, Kärntner und Waldviertler Blondvieh. Dass sich Lage bei einigen Rassen mittlerweile etwas entspannt hat, ist Bauern mit Leidenschaft für alte Nutztierrassen zu verdanken, der der Arche Austria und einer ÖPUL-Förderung*. Was die letztgenannten Blondies aus dem heimischen Norden betrifft, die eigentlich ein Mix aus dem altillyrisch-keltischem Rind und ungarischem Steppenrind sind, so wurde schon 1982 mit den letzten 23 Kühen und drei Stieren ein Zuchtprogramm zur Erhaltung gegründet. Schließlich sollte nicht verloren gehen, was schon Kaiser Franz-Josef schätzte, dessen Tafelspitz nur aus Waldviertler Blondviehochs sein durfte.

2014 wurden in rund 108 Betrieben 961 Tiere gehalten. Und die Rasse ist Nummer zwei in der Mutterkuhhaltung in Niederösterreich. Von den 170.000 Blondvieh-Rindern, die es 1954 noch gab, ist man allerdings noch immer weit entfernt. Anderen geht es freilich nicht besser. Auch das Kärntner Blondvieh (979 Tiere), die Tux-Zillertaler (911 Tiere) sowie das Original Braunvieh (801 Tiere) sind hochgefährdet. Ganz am Ende schließlich rangieren die Pustertaler Sprintzen mit 355 und die Ennstaler Bergschecken mit 246 Tieren.

Eigenschaften wie Genügsamkeit wurden nicht mehr gebraucht

Neu ist der Rückgang der Rassenvielfalt nicht. Schon im 19. Jahrhundert hat er begonnen. Bereits damals  konnten alte Rassen mit den vorgegebenen Zuchtzielen nicht mehr Stand halten, sagt Franz Fischerleitner, ehemals Wissenschaftler am Institut für Biologische Landwirtschaft und Biodiversität der Nutztiere in der HBLFA Raumberg-Gumpenstein. Die Geschichte tat das ihre dazu: “Die einsetzende Industrialisierung und Kriege erforderten von der Landwirtschaft die Ernährung der Arbeiterklasse und Soldaten. Der Bau von Eisenbahnen ermöglichte die Versorgung von Ballungszentren. Dadurch wurde Bauern in marktfreien Regionen ein Anreiz gegeben, die Zucht auf leistungsfähige Tiere auszurichten.” Die Landwirte, sagt er, hätten ihr Einkommen nur über den Verkauf von großen Mengen erwirtschaften können. Auch die umfangreiche Bekämpfung von Seuchen habe die Umstellung auf „etablierte“ Rassen beschleunigt. Dann kamen neue Zuchttechniken, verbunden mit Leistungskontrolle, die bei bestimmten Rassen enorme Leistungsbereitschaft für besonders erwünschte Merkmale wie Milch, Fleisch oder Wolle offengelegten. Den Rest in der Verdrängung erledigte die künstliche Besamung. “Eigenschaften wie Genügsamkeit oder Eignung zur Doppelnutzung waren nicht mehr entscheidend für den Betriebserfolg”, sagt Fischerleitners Kollegin Beate Berger und fügt hinzu: “Spezialrassen die auf nur einem Gebiet Höchstleistungen erbringen, wurden auch in benachteiligten Gebieten durch Kraftfutterzukauf und ganzjährige Stallhaltung rentabler als die alten Rassen”.

Auf Eis legen als Lösung?

Die aktuelle Wiederbelebung alter Rassen funktioniert als dynamischer Prozess nur mit lebenden Herden. Das ist klar. Bevor eine Rasse aber ganz verschwindet, greift man als “letzte Rettung” mittlerweile gern auf die Tiefkühlvariante zurück. Kryokonservierung heißt der zugehörige Fachbegriff. Er stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Kälte, Eis. Was versteht man darunter? Die Lagerung von Zellen & Geweben in einem Temperaturbereich von unter -130°C mit dem Ziel der Erhaltung der Ausgangseigenschaften. Heruntergekühlt wird mit flüssigem Stickstoff. Das Bemerkenswerte an dem Prozeß ist, dass die Vitalität der Zellen erhalten bleibt, obwohl das ganze biologische System der Zellen in einen Festkörperzustand übergeht. Dadurch kommt der Zellstoffwechsel zum Stillstand und die biochemischen Abläufe werden unterbrochen. Bisher ist die Kryokonservierung die einzige Möglichkeit, tierische Zellen und Zellverbände über eine quasi unbegrenzte Zeitdauer in lebensfähiger Form einzulagern und dann wieder zu reanimieren. In Österreich versucht man, von allen 43 heimischen seltenen Nutztierrassen repräsentative Samendepots von mindestens 25 möglichst gering verwandten Vatertieren anzulegen. Diese Sammlung dient der Unterstützung von Lebenderhaltungsprogrammen für seltenen Rassen, es wird ständig Material ein- und zu Zuchtzwecken ausgelagert. Das sei wesentlich effizienter als die reine Erhaltungszucht, sagt Berger.

In den 1920ern fast ausgestorben, heute wieder gut bestückt: 13.000 Stück Grauvieh leben in TiroL. ©Tirol Werbung

Daneben gibt es in Österreich noch eine klassische Gendatenbank, aus der nur in Ausnahmefällen Material entnommen wird – etwa nach Katastrophen. Welche das sind? In erster Linie Seuchenausbrüche. Während eines Maul- und Klausenseuche-Ausbruchs gingen in Großbritannien etwa 2007 viele kleine Schafrassen fast verloren. Und es gibt Naturkatastrophen, die große Gebiete betreffen, wie in Pakistan. Die können eine ganze Region ihrer tiergenetischen Ressourcen berauben. Aber auch Kriege vernichten ganze Nutztierpopulationen, der Jugoslawienkrieg hat das Turopoljeschwein fast ausgerottet und im Kosovo wurde der gesamte Rinderbestand vernichtet. “Die erfolgreiche Remontierung wurde u.a. mit Tiroler Grauvieh durchgeführt, das an das Berggebiet hervorragend angepasst ist”, so Berger. Und genau diese Rasse zeigt, welche Früchte die Bemühungen um eine solche auch tragen können: In den 1920er Jahren fast ausgestorben, tummeln sich heute wieder 18.000 Vertreter hierzulande, 13.000 davon in Tirol.

*Erhaltung seltener Nutztierrassen: Österreichs Weg Österreich hat im Jahr 1995 die Biodiversitätskonvention (Convention on Biodiversity, CBD) ratifiziert und sich damit offiziell zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung seiner biologischen Vielfalt verpflichtet. Diese Verpflichtung erstreckt sich auch auf landwirtschaftliche Nutztiere, wobei auf diesem Gebiet die ersten Erhaltungsprogramme bereits in den 1980er Jahren von der ÖNGENE erarbeitet und durchgeführt wurden. Seit dem EU-Beitritt Österreichs ist die Erhaltung seltener bodenständiger landwirtschaftlicher Nutztierrassen als eigene Maßnahme in das Österreichische Programm für eine umweltgerechte Landwirtschaft (ÖPUL) integriert. Der Schwerpunkt liegt auf der Erhaltung der Nutztiere in bäuerlicher Zucht und unter nachhaltiger Nutzung.

http://www.arche-austria.at