Hütten-Entzauberung
Was wird Urlaubern auf heimischen Skihütten kredenzt? Bäuerliche Produkte aus wenigen Kilometern Umkreis oder die billigste Alternative vom Weltmarkt?
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Sonne, Pulverschnee und eine atemberaubende Bergkulisse, Sie haben einen wunderbaren Vormittag auf Skiern hinter sich. Jetzt sitzen Sie auf der Sonnenterasse einer Skihütte und genießen den obligatorischen Kaiserschmarrn. Verschwenden Sie auch nur einen Gedanken daran, dass die Eier in Ihrem flaumigen Schmankerl von Hühnern aus ukrainischen Käfigen kommen könnten? Vermutlich nicht. Sollten Sie aber, sagt Land schafft Leben-Obmann Hannes Royer. Denn die Chance, dass Sie auf diese Weise Käfigeier konsumieren, ist hoch. Royer regt das auf: „Liftkarte und Après-Ski sind uns viel wert”, kritisiert er, selbst Bergbauer in der Region Schladming-Dachstein, “aber welche Qualität unsere Lebensmittel haben, dafür interessiert sich kaum jemand“. Eine verpflichtende Kennzeichnung? Gibt es nur bei Frischeiern im Lebensmittelhandel. Und am Frühstücksbuffet und auf der Skihütte nachfragen, ob Lebensmittel nach dem Billigstprinzip vom Weltmarkt oder regional eingekauft wurden? Macht naturgemäß auch keiner.
“So egal, wie wenn in China ein Fahrrad umfällt”
Das Thema, woher die Eier in Restaurant-Gerichten kommen, ist freilich nicht ganz neu. Die Umweltschutzorganisation Vier Pfoten wollte erst 2017 von 28 heimischen Restaurantbetrieben wissen, woher die Eier und das Fleisch stammen, die sie verarbeiten. Gerade einmal zehn antworteten und auch die machten nur vage Angaben. Allerdings bewahren nicht alle Wirte und Küchenchefs dieses Geheimnis. Als der zugegeben nicht unumstrittene Verein gegen Tierfabriken schon vor zwölf Jahren *****-Hotels wie Hilton, Mariott, Radisson SAS, Imperial, Bristol und weitere testete, gab es glasklare Antworten. Wo man bis zum Chef de Cuisine durchdrang, erhielt man damals auf die Frage nach Verwendung von Käfigeiern Auskünfte der Marke: “Freilandeier sind uns zu teuer, wir verwenden weiter Eier aus Käfighaltung” und “Woher unsere Eier kommen interessiert mich so viel, wie wenn in China ein Fahrrad umfällt”. In der gehobenen Gastronomie findet man Vertuschen offenbar nicht ganz so angebracht, wie in Skihütten. Hannes Royer konzentriert sich indes auf Zahlen: „Wir importieren täglich 1,8 Millionen Schaleneier und Eier in verarbeiteten Lebensmitteln. Mehr als die Hälfte davon sind Käfigeier”, sagt er. Das absurde daran sei, dass Käfighaltung in Österreich verboten sei, der Import aber erlaubt. (Anm. Das Verbot tritt Ende 2019 in Kraft)
Kommt es auf 10 Cent an?
Es geht in der Herkunfts-Frage aber nicht nur um Eier. Auch Fleisch ist ein großes Thema, weil es aufgrund höherer Produktionsstandards im Inland teurer ist. „Dabei geht es nur um ein paar Cent“, betont Royer. Großhändler Manfred Kröswang kann das noch genauer beziffern. Er sagt, dass eine Portion österreichisches Schweinsschnitzel nur 10 Cent mehr kostet als die billigere Variante aus dem EU-Ausland. Beim Rindsgulasch betrage der Preisunterschied 20 Cent, bei der gegrillten Putenbrust 70 Cent. Royer macht das zornig. Er sagt: “Ein Schnapserl beim Après-Ski weniger und wir könnten den ganzen Skiurlaub lang heimisches Fleisch essen. Aber so lange es den Gästen egal ist, wird weiterhin das Billigste vom Weltmarkt auf den Tellern landen.” Und:
Wenn die Skihütten sagen, sie können wegen ein paar Cent keine österreichischen Lebensmittel verwenden, ist das eine Bankrotterklärung.
Im Übrigen ist er davon überzeugt, dass Gäste aus Deutschland und vielen anderen Ländern sich betrogen fühlen würden, wenn sie wüssten, dass sie Jahr für Jahr in wunderschöner Landschaft oft für viel Geld Käfigeier und Billigstfleisch serviert bekommen. “Die Bauern erhalten unsere Kulturlandschaft, die jedes Jahr Millionen Gäste anlockt. Wenn die Pflege unseres Lebensraums nichts mehr zählt, werden die wunderbaren Berghänge und Almen zuwachsen und die Touristen fahren woanders hin.”
Regionalität neu definieren
Das Argument, dass es nicht ausreichend Lebensmittel aus regionaler Herkunft gibt, zieht bei Royer nicht. Er sagt dazu, es stimme zwar, dass die Bauern in alpinen Regionen fast nur Grünland bewirtschaften und hauptsächlich Milch und Rindfleisch erzeugen, aber andere Regionen Österreichs stellten eine breite Palette an Lebensmitteln her. Und also hieße es eben, den Regionalitätsbegriff nicht zu eng stecken. Die billigste Alternative am Weltmarkt sei keine Option, nur weil es ein Lebensmittel in wenigen Kilometern Umkreis nicht gäbe. Die bedeutenden Tourismusregionen Österreichs können sich wirklich nicht selbst ausreichend mit Lebensmitteln versorgen, bestätigt Thomas Guggenberger, Forscher an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein. Im Hinblick darauf spricht er von einem fiktiven zehnten Bundesland namens „Touristika“, in dem 85 Prozent der touristischen Nächtigungen erfolgen – darunter fallen alle wichtigen alpinen Tourismusregionen, das Vulkanland und Wien. In den Bergregionen, sagt er, würden nicht einmal ausreichend Lebensmittel erzeugt, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Tatsächlich leben weniger als ein Prozent der heimischen Schweine in Salzburg, Tirol und Vorarlberg – viel zu wenig, um den Schnitzelbedarf zu decken. Doch es gibt einen Ausweg. Guggenberger rät den Gastronomen: „Akzeptiere das Bundesgebiet als ‚Regional‘. Auch hier gelten die hohen Produktionsstandards, die du für deine Kleinregion akzeptierst!“