Die Rufe nach mehr Anwendungserlaubnissen von Pflanzenschutzmitteln häufen sich in der Landwirtschaft. Mit Notfallszulassungen will man sich nicht mehr zufrieden geben.

Man könne die Versorgung rund um’s Jahr ohne sinnvollen Pflanzenschutz nicht mehr sicherstellen, schrien die einen auf, “Wir sind ein Opfer des Populismus” die anderen. Beiden gemeinsam ist, dass sie den legalen Einsatz weiterer Pflanzenschutzmittel fordern. Sie, das sind die heimischen Erdäpfel- und Rübenbauern, die sich an die Spitze der Pro-Pflanzenschutz-Landwirte setzen. Als Grund nennen sie den Klimawandel, der ihnen das Leben und die Arbeit schwer mache, ja sie sogar gefährde. Ernst Karpfinger, Präsident der Rübenbauern, bezeichnete das EU-Totalverbot der Neonicotinoide im Freiland jüngst sogar als “einen der schwerwiegendsten Fehler der Europäischen Kommission”. Die Rübe blühe nicht, von daher ziehe sie keine Pollensammler an, lautet sein Argument. Rückendeckung bekommt er von Franz Wanzenböck, Obmann der Interessensgemeinschaft Erdäpfelbauern (IGE). Der sieht das sehr ähnlich und fordert für seine Bauern in Sachen Drahtwurm “neue Mittel mit guten Wirkstoffen, die man in der Zulassung durchbringen kann”. Im Zulassungsprozess dürften dabei nicht nur potenzielle Gefahren wie eine Bienengefährlichkeit gesehen werden.

Bis 29. April schon 40 Notfallszulassungen

Der Forderung der Landwirte nachkommen müsste die EU. Denn die ist grundsätzlich für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln zuständig. Dort denkt man aktuell aber nicht daran. Gut, könnte man nun sagen, es gibt ja ohnehin noch das Instrument der Notfallzulassung für bestimmte Mittel, das für besondere Gefahrensituationen in der Landwirtschaft erdacht wurde. Wenn es keine Alternative zur Schädlingsabwehr gibt, kann so eine Zulassung unter Einbezug der Bundesländer für maximal 120 Tage erteilt werden. Die sind nämlich für die Verwendung bzw. Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zuständig. Gleichzeitig geht die Information darüber an die EU-Kommission. Dass es in Österreich immer mehr solche Notfallszulassungen gibt, spricht für sich. In Zahlen waren es zwischen 2011 und 2015 noch zwischen 28 und 38 für den konventionellen und den biologischen Bereich, 2016 schon 40, 2017 und 2018 44. Und 2019? Haben wir diese Menge schon am 29. April erreicht.  Im Erdäpfelanbau ist darunter beispielsweise Mocap, bei dem bei unter den Gefahrenhinweisen zu lesen ist, dass bei Hautkontakt Lebensgefahr besteht. Dabei handelt es sich um ein Bodendesinfektionsmittel, dass wegen seiner Giftigkeit gegenüber Bodenlebewesen wie dem Regenwurm, vom Markt ausgeschlossen wurde.  Ökonom Johann Zaller sagt darüber, dass die Bauern bei starker Trockenheit riskierten, dass es sich über den Staub verbreitet. In Deutschland, Ungarn und Tschechien ist es verboten. Zaller plädiert für ein Umdenken. Drahtwürmer entstünden gerade in intensiven Monokulturen. Zudem gäbe es weniger anfällige Erdäpfelsorten. Bei der IGE hält man indessen wenig von den Notfallszulassungs-Präparaten. Die Mittel seien nicht besonders effizient, heißt es.

Drei Neonicotinoide per Notfallszulassung erlaubt

Bei den Zuckerrüben sind unter den Notfallszulassungen drei EU-weit verbotene Neonicotinoide, die nunmehr auf geschätzt 40.000 Hektar Rübenfläche ausgebracht werden können. Das gefällt naturgemäß nicht allen. Helmut Burtscher-Schaden, Umweltchemiker bei GLOBAL 2000 etwa sprach gerade  von “einer missbräuchlichen Umgehung des europäischen Pestizidverbots“ und wies darauf hin, dass die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit die Risiken für Honigbienen, Wildbienen und andere bestäubende Insekten als „unannehmbar“ bezeichnete. Die NGO plädiert seither für eine rechtliche Überprüfung, kommt damit beim zuständigen Bundesamt für Ernährungssicherheit (BAES) aber nicht weiter. „Das BAES hält die Zulassungsbescheide zurück, und weigert sich bis zum heutigen Tag sogar, eine bescheidmäßige Begründung für die Nicht-Herausgabe der Zulassungsbescheide zu geben”, sagt Gregor Schamschula, Experte für Umweltrecht am Ökobüro dazu. Das sei seiner Meinung nach rechtlich nicht gedeckt. Tatsächlich liegt die Sache mit dem heutigen Tag vor Gericht: „Wir erwarten die Aufhebung der rechtswidrigen Zulassungen“, so Burtscher-Schaden. Problematisch für die Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht könne jedoch die zeitliche Befristung der Zulassungen sein. Die Zulassungen sind mit Ende Mai befristet, danach treten sie außer Kraft und können auch nicht mehr aufgehoben werden.

Deutschland, Großbritannien und Frankreich sagt nein

Auch anderswo würden die Rübenbauern gern Neonicotinoide per Notfallszulassung einsetzen. In Frankreich, Großbritannien und Deutschland beispielsweise. Dort wurden die Anträge aber abgelehnt. Nur in Schweden wurden sie positiv beschieden. Ein Gericht hob die Bescheide aber wieder auf, nachdem eine schwedische Umweltorganisation sie angefochten hatte. Dazu muss man aber erst einmal Zugang dazu bekommen. Bleibt die Frage: Sind die heimischen Rübenbauern also glücklich mit den Notfallszulassungen? Nein. Sie klagen vielmehr über praxisuntaugliche Auflagen und die grundsätzliche Einschränkung in zwei Bundesländern, die 2019 zu weiteren Flächenrückgängen geführt hätten. Dabei kommt noch weitere Unterstützung, und zwar vom Agrana Konzern in Form einer Anbauprämie von 170 Euro je Hektar, die im Wesentlichen die Saatgutkosten deckt, und Pheromonfallen für die Rüsselkäfer. “Versichert man sich zusätzlich bei der Hagelversicherung, ist man wirtschaftlich betrachtet eigentlich abgesichert”, sagt der Geschäftsführer des Rübenbauernverbandes, Markus Schöberl. Präsident Karpfinger allerdings bleibt bei der Forderung nach weiteren Pflanzenschutzmitteln. Er ist der Meinung, dass modernen Pflanzenschutz kein Fluch, sondern ein Segen ist: „Wer heute öffentlich verlangt, im Pflanzenschutz das Rad der Zeit zurückzudrehen, der vergisst, wie die sogenannten guten alten Zeiten waren. Es gab Unterversorgung, Mangelernährung, Ernteausfälle durch Schädlings- und Krankheitsbefall, schwere Arbeit für ein Drittel der Bevölkerung in der Landwirtschaft und eine geringe Lebenserwartung.” Und was sagt man im Landwirtschaftsministerium zu dem ganzen Dilemma? Zum Thema selbst kaum etwas. Dafür verweist man dort darauf, dass man gemeinsam mit Saatgut Austria und der Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) an “zukunftsfitten” Sorten arbeitet, die stabile Erträge und Qualitäten des Erntegutes auch bei Wetterextremen hervorbringen.