Der Philosoph und Kommunikationswissenschaftler Christian Dürnberger hat sein neues Buch “Ethik für die Landwirtschaft” für Bauern und uns geschrieben.

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„Ich bin davon überzeugt, dass sich die Erwartungen rund um die Landwirtschaft radikal verändert haben: Landwirtinnen und Landwirte sollen heute nicht mehr ‚nur‘ Qualitätsprodukte produzieren, sie sollen auch ihrer besonderen Verantwortung für Umwelt, Klima und Tiere nachkommen. Und damit nicht genug: Sie sollen auch in den entsprechenden Debatten selbst mitmischen.“ Deswegen habe ich dieses Buch geschrieben, erläutert Christian Dürnberger, Autor des Buches „Ethik für die Landwirtschaft“. Das Buch soll dazu anleiten, über das ‚große Ganze‘ der Landwirtschaft nachzudenken. Es willl dabei nicht beantworten und vorschreiben, was moralisch richtig bzw. falsch ist, sondern vielmehr Positionen beschreiben und auf diesem Wege zum Nachdenken anregen. In diesem Sinne ergreift das Buch nicht Partei: ‚bio‘ oder ‚konventionell‘? Fleisch essen oder doch vegan? Grüne Gentechnik oder Alternativen? Ethik ist kein Besserwissen, sondern ein Begleitwissen, das gerade jene Menschen unterstützen soll, die praktisch arbeiten und die Entscheidungen treffen müssen.“

Gefordert ist der einzelne Landwirt, die einzelne Landwirtin

Der durchschnittliche Bürger kommt mit Landwirtschaft meist nur in zwei Formen in Kontakt: Als Skandal auf den Titelseiten der Zeitungen – und als Idylle im Agrarmarketing. Umso wichtiger ist die Begegnung mit der Vielfalt der Landwirtschaft, wie sie tatsächlich stattfindet. Hierfür braucht es im Besonderen das Bemühen der einzelnen Landwirte. Warum?  “Der einzelne Bauer, die einzelne Bäuerin hat in der Regel ein besseres Image als jeder Verband. All die Bemühungen wie „Tag der offenen Stalltür“, die Gespräche mit Spaziergängern oder mit Kundinnen im Hofladen, die Initiativen mit Schulklassen, die Teilnahmen an Podiumsdiskussionen… all diese Dinge sind (auch wenn sie im Vergleich zu Massenmedien nur wenige Menschen erreichen) von besonderer Bedeutung.”

Die Bedeutung von Vertrauen

Wir Konsumenten haben von der konkreten landwirtschaftlichen Arbeit meist wenig Ahnung. Nicht nur, weil wir wenig Wissen und wenig Bezug aufweisen, sondern auch, weil die diesbezüglichen Fragen durchaus komplex sind. Wer keine oder wenig Ahnung hat, der muss … vertrauen. Dies ist ein Kennzeichen einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft. Wann aber vertrauen Menschen einem verantwortlichen Akteur?  Diese Fragen beantwortet der Autor im Buch unter anderem wie folgt:

(1) Voraussetzung ist, dass die Verbraucherin, der Verbraucher Vertrauen in die Expertise des Akteurs hat. D.h. ich muss als Laie den Eindruck gewinnen, dass der Akteur sein Aufgabenfeld fachlich wirklich versteht. Das allein allerdings genügt nicht, um Vertrauen zu generieren, denn…

(2) Es braucht einen Wertekonsens zwischen Verbraucher und Akteur. Ist dieser nicht vorhanden, wird der Verbraucher nicht einmal überlegen, ob er dem Akteur vertrauen will. Wertekonsens bedeutet: Ich muss davon ausgehen können, dass dem Akteur dieselben Werte wie mir wichtig sind. Für die Kommunikation bedeutet dies, dass diese Werte auch explizit zum Thema gemacht werden müssen. Wenn man über Landwirtschaft kommunizieren will, gilt es demnach nicht nur Zahlen, Daten und Fakten zu vermitteln (dies ist etwas für Fachtagungen und den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen), sondern auch die eigenen Wertvorstellungen: Menschen wollen nicht nur wissen, was jemand macht – sondern auch warum. Was sind die Werte und Ziele, an denen sich jemand orientiert?

(3) Es braucht wahrhafte Kommunikation: Das, was der Akteur sagt, muss stimmen. Hier zeigt sich ein Grundproblem des Vertrauens: Es baut sich langsam auf, aber verschwindet von einer Sekunde auf die andere, wenn man einer Lüge überführt wird.

(4) Gerade da sich Vertrauen langsam aufbaut, braucht es eine Langfristigkeit der Bemühungen. Exemplarisch: Wenn Sie zwei Akteure vor sich haben, und der eine betreibt seit gestern aktiv Umweltschutz, der andere aber kann zeigen, dass ihm dieses Ziel seit über dreißig Jahren ein persönliches Anliegen ist, ist wenig überraschend, wem Sie mehr Vertrauen entgegenbringen (wenn Ihnen selbst dieses Ziel auch wichtig ist, siehe „Wertekonsens“.)

(5) Probleme dürfen nicht kaschiert werden, im Gegenteil: Nichts erhöht die Glaubwürdigkeit mehr, als wenn jemand über die eigenen Schwierigkeiten spricht. Gerade hier hat die Landwirtschaft in den Kommunikationsbemühungen der vergangenen Jahrzehnte, so meine persönliche Überzeugung, manchen schwerwiegenden Fehler begangen. Probleme wurden totgeschwiegen oder als „Einzelfall“ abgetan. Ratsamer wäre es gewesen, selbst auf die systemischen Probleme der Landwirtschaft hinzuweisen – bevor es andere tun. Die Probleme selbst anzusprechen bedeutet, aktiv zu werden – statt immer nur zu reagieren. Wer reagiert, ist kommunikationstechnisch bereits in der Defensive. Damit verstärkt sich der Eindruck, der gegenwärtig ohnehin vorherrscht: Als würden die Forderungen nach „mehr Tierwohl“ oder „Klimaschutz“ stets nur „von außen“ an die Landwirtschaft herangetragen werden; als würden die Landwirte und Landwirtinnen selbst keinerlei Interesse an diesen Werten haben. Dabei wäre gerade das Gegenteil wünschenswert: Dass Landwirtinnen und Landwirte selbst die Debatte voranbringen und als Innovatoren von „Tierwohl“ und „Klimaschutz“ wahrgenommen werden, als jene Berufsgruppe, die nicht nur die unmittelbare Verantwortung und Expertise in diesen Fragen hat, sondern auch Ideen generiert und die ganze, oftmals so behäbige Debatte voranbringt.

(6) Die Landwirtin sollte sich mit ihrem Produkt identifizieren. Beispielhaft: Es erhöht nicht gerade das Vertrauen, wenn ein Bauer nicht die Produkte isst, an deren Herstellung er selbst mitwirkt. Im besten Fall kann eine Bäuerin, ein Bauer sogar Auskunft über diese Produkte geben und erklären, was sie so besonders macht.

(7) Schließlich entsteht Vertrauen nur dort, wo kommuniziert wird. Der Begriff „Dialog“ muss hier jedoch ernst genommen werden, denn er bedeutet eben nicht ein bloßes „Ich erkläre einer dummen Gesellschaft, was in der Landwirtschaft Sache ist“, sondern eine Begegnung auf Augenhöhe. Dies ist freilich ein Balanceakt, denn: Die Landwirtin ist Expertin, der Konsument eben nicht. Entsprechend muss man nicht auf jedes Störfeuer von außen reagieren – gerade dann nicht, wenn man das, was man tut, mit bestem Wissen und Gewissen erledigt. Zugleich aber darf man sich gesellschaftlichen Erwartungen und einem echten Dialog nicht verschließen. Berufsfelder wandeln sich – und sie tun dies im Austausch mit der Gesellschaft. 

PS: “Ethik für die Landwirtschaft” ist zwar für Landwirte geschrieben. Als Konsument bekommt man jedoch einen Einblick in die Welt, und damit die Problemstellungen, der Landwirtschaft. Ein spannender Perspektivenwechsel.

Der Autor

Christian Dürnberger, Doktor der Philosophie und Magister der Kommunikationswissenschaften. Gegenwärtig arbeitet er als Philosoph am Messerli Forschungsinstitut/Abteilung Ethik der Mensch-Tier-Beziehung an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, Medizinischen Universität Wien und Universität Wien sowie am Campus Francisco Josephinum Wieselburg. Frühere Arbeitsstellen waren die Ludwig-Maximilians-Universität München, das Institut TTN sowie die Hochschule für Philosophie München.

 

Erschienen als Book-on-Demand.

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