Das Nutztier mit dem unterprivilegiertesten Status lebt gesetzeskonform auf 0,7 m², das Gros der Halter ist unzugänglich und Konsumentendruck gibt es wenig.

Hochintelligente Schweine müssen als Nutztier unter den schlimmstmöglichen Bedingungen leben.  ©Panthermedia

“Das Schwein wird vom Gros der Menschen beispielsweise gegenüber dem Rind als das wertlosere, weniger intelligente Tier empfunden”.

Das sagt einer, der es wissen muss: Johannes Baumgartner – Veterinär und Tierschutzexperte der Vetmeduni Vienna. Baumgartner macht gern eindringlich auf die nach wie vor prekären Lebensumstände der Spezies Schwein in der konventionellen Haltung aufmerksam, argumentiert dabei aber ausgewogen und steht fern aller als militant geltenden Tierschutzorganisationen. Gerade deshalb sollten seine Aussagen nachdenklich machen. Womit das wertlose Image des Schweins übrigens zusammenhängt? “Mit der Haltung in größeren Gruppen. Dabei sinkt die Wertschätzung des Einzeltieres”, sagt Baumgartner. Abgesehen davon lebe ein Schwein durchschnittlich ein halbes Jahr, während das Leben einer Kuh im Schnitt vier Jahre dauere und sie – abgesehen vom Fleisch – tatsächlich jeden Tag Nutzen erbringt. Und so kennt man als nicht täglich nutzbringendes Schwein artgerechte Haltung hierzulande auch nur vom Hören-Sagen.

0,7 Quadratmeter Vollspaltenboden für ein 110-Kilo Schwein

Wo zur Hölle kommt diese Zahl her, fragt man sich. Wer hat sich ausgedacht, dass ein ausgewachsenes Schwein auf umgerechnet 90 Zentimeter leben soll? Baumgartner kennt auch darauf die Antwort:

“Diese Zahl ergibt sich aus einer mathematischen Näherungsformel, die den Flächenbedarf berechnet, den ein 110 kg-Tier braucht, um auch in der sardinenartigen Anordnung in Halb-Bauch-, Halb-Seitenlage zu ruhen.”

Das Tierschutzgesetz sieht in diesem vorgegebenen Minimalangebot kein Problem. Die EU offenbar auch nicht. Der reichen nämlich sogar 0,6 Quadratmeter. Eine Folge dieses minimalen Platzangebots sind Vollspaltenböden, auf denen 98 Prozent der heimischen Schweine leben müssen. Ohne weiches Stroh versteht sich. Wie funktionieren die? “Liege- und Bewegungsfläche sind hier ident, der Kot wird durch die Klauenbewegung in den darunter liegenden Güllekanal gedrückt – eine Übereinanderlagerung, die Sauberkeit garantieren soll.” Klingt erst mal hygienisch? Mag sein. Aber möchten Sie ihren eigenen Gestank 24 Stunden am Tag einatmen? Und: “Das Konzept inkludiert, dass es wenig Platz für Ruhe wie Bewegung gibt, woraus sich massive Probleme ergeben können.” Will heißen, die Tiere verletzen sich die Klauen und die Extremitäten. Was dann sehr häufig in Lahmheit endet. In Feldstudien zeigten, dass selbst der beste Bodentyp eine Verletzungshäufigkeit von 45 Prozent hatte.

Gestörte Schweine?

Und dann gibt es noch die Verhaltensstörungen? Schweine sind sehr erkundungsfreudige Tiere, die unter natürlichen Bedingungen den größten Teil des Tages in der Erde nach Nahrung wühlen. “Außerdem sind sie per se sehr reinliche Tiere, die Liege- und Kotplatz trennen”, so Baumgartner.  Sollte man verstehen, Hund Rex und Katze Fifi liegen und koten ja auch nicht auf einem Platz. Eine dieser Verhaltensstörungen ist das „Schwanzbeißen“. Die Schweine beißen dabei am Ringelschwanz eines Artgenossen herum, bis dieser blutig wird. Das gebissene Tier kann in der engen Haltung kaum flüchten oder sich zurückziehen. Eine Folge können schlimme Infektionen sein, die bis ins Rückenmark ziehen und sogar tödliche Folgen haben können. Von daher kupiert man den Ferkeln heute noch immer betäubungslos die Schwänze. Dass die Schmerzen dabei höllisch sind ist ebenso klar, wie dass den Tieren dann ein Teil fehlt, mit dem sie sich mimisch ausdrücken.

Zum Nichts-Tun verdammt

Teilspaltenböden machen die Situation nur bedingt besser. Dafür braucht es rund ein Drittel mehr Fläche. Und: Die geschlossene Fläche hat keinen Selbstreinigungseffekt. Ein weiterer Aspekt ist die Umgebungstemperatur. “Der thermoneutrale Bereich der Schweine liegt bei 18 bis 23 Grad Celsius. Darüber suhlen sie sich zwecks Abkühlung, weil sie kaum Schweißdrüsen besitzen. Üblicherweise bedecken sie sich mit Schlamm. In Buchten mit geschlossenen Böden werden die mit Kot und Harn verschmutzten Böden mangels Alternative dazu verwendet”, sagt der Veterinär. Die Folge? Noch mehr Dreck und schlechtere Luft. Doch jede Form von Spaltenböden hat noch ein charakteristisches Merkmal. Den Tieren, die darauf leben, ist fad. Sie können sich nicht beschäftigen und haben null Abwechslung. Oder um in Expertenworten zu sprechen: “Es ist schwierig bis unmöglich, ein Beschäftigungsangebot zu schaffen, das auf natürlichen, abschluckbaren Materialien wie Stroh basiert. Dieses fällt ja entweder durch oder verklebt sie oder verstopft die Kanäle.” Und mit herumliegenden Ketten oder Eimern wird man als Schwein nun wirklich nicht glücklich.

Zuchtsauen sind fast die Hälfte des Jahres im Kastenstand

Geht es ans Gebären und Säugen, wird die Sache für die Tiere dann ganz katastrophal. Sie müssen in den Kastenstand. Kastenstände sind körpergroße Einzelkäfige für Zuchtsauen aus Metall, durch die Bewegung unmöglich gemacht wird. Warum? Weil die Sau die Ferkel erdrücken könnte. Der Kastenstand verhindert das. “Eine vor dem ökonomischen Hintergrund verständliche Strategie, aus Sicht der Tiere aber definitiv inakzeptabel.”

“Die Sauen haben keine Chance auf artgerechte Auseinandersetzung mit den Ferkeln und sind während der Geburt, auf die sie sich nicht adäquat vorbereiten können, massiv in der Beweglichkeit eingeschränkt. Im Normalfall bauen sie ein Geburtsnest. Können sie das nicht, gehen sie gestresst in die Geburt.”

Das sind systemimmanente Folgen für die Tiere, sagt Baumgartner. Dazu muss man wissen: Eine Sau hat im Jahr durchschnittlich 2,2 Würfe. Da sie pro Trächtigkeit jeweils fünf Wochen in Abferkel­- und Deckzeitraum in der Kastenstandhaltung gehalten wird, ergeben sich aktuell 22 Wochen in der Kastenstandhaltung. Ein Ende wird das Grauen erst 2033 haben. Dann tritt laut Tierschutzverordnung nämlich ein Verbot in Kraft. Derzeit befinden wir uns noch in der Übergangsphase. Anderswo zeigt man derweil schon, wie es auch gehen kann. In der Schweiz etwa. Da gibt es so genannte freie Abferkelbuchten. “Käfighaltung ist – bis auf Einzelfälle schwieriger Sauen, die für maximal eine Woche um die Geburt fixiert werden dürfen, um ihre Ferkel nicht zu erdrücken, während der Säugeperiode verboten.” Und: die Schweiz hat auch wissenschaftlich belegt, dass sich damit vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen, was Verluste anbelangt. “Nichts-destotrotz funktioniert das System nicht ohne ein größeres Flächenangebot und mehr Arbeit”, so der Tierwohl-Experte. Und: Es gibt außerhalb der Schweiz leider kaum Entwicklungsarbeit. Weder von Seiten der Stallbau- und der Schweineindustrie gibt es großes Interesse an einer Veränderung.

Womit wir wieder bei der unterprivilegierten Rolle sind

Die wird das Schwein, wie es aussieht, erst mal weiter behalten. Es sei denn es ändern sich die gesellschaftlichen Hintergründe, aus denen sie resultiert. Das hieße aber auch, die Struktur und Organisation der Schweine-industrie und der Sichtweise der Erzeuger auf die Tiere müsste sich wandeln. Bei den Rinderhaltern und den Legehennehaltern hat dieser Bewusstwerdungsprozess ganze zwei Jahrzehnte gedauert, sagt Baumgartner – und ist nur in Verbindung mit einem hohen gesellschaftlichen Druck einiger Maßen gelungen. Sie sind  den Tierwohl-Argumenten mittlerweile zugänglicher. Im Schweinebereich ist es heute noch kaum möglich, eine wert-offene Diskussion zu führen. Genau da gilt es wohl in erster Linie anzusetzen.