Der Wolf liegt nicht mehr mit Rotkäppchen im Clinch, sondern mit Bauern, die um ihre Nutztiere fürchten. Das Ende Juli geköpft gefundene Tier zeigt, wie die Fehde enden kann.

Wer Wölfe illegal abschießt, bricht ein Gesetz. Abgesehen davon ziehen andere Tiere nach. ©Unsplash

Ja, es war ein Wolf. Der im Tiroler Sellrain Ende Juli aufgetauchte Tierkadaver ohne Kopf wurde jetzt zweifelsfrei von der Universität Wien identifiziert. Und noch zwei neue Fakten gibt es: Erstens war er kein Österreicher, entstammte vielmehr der italienischen Population. Und zweitens hat er Schafe gerissen. Letzteres weiß man “anhand der Proben, die auf der Inzinger Alm bei zwei gerissenen Schafen entnommen wurden”, sagte Martin Janovsky, Beauftragter des Landes für große Beutegreifer. Das Köpfen könnte auf  Selbstjustiz hindeuten, zumal der Wolf auch noch Schussverletzungen aufweist. Was zeigt dieser jüngste Vorfall einmal mehr? Dass Feuer am Dach ist, wenn Wolf und Landwirt aufeinander treffen. Denn ja, Wölfe fressen auch Nutztiere. Huftiere wie Schafe oder Ziegen sind sogar ihre bevorzugte Nahrungsgrundlage, sagt Marie Neuwald, Wolf-Referentin beim Naturschutzbund. Dass die Tiere versuchen, leichte Beute zu machen, liegt auf der Hand. Dass die Landwirte darüber nicht erfreut sind, ist auch logisch.

Das Überangebot führt zum Blutrausch

Das schwierige an der eh schon verworrenen Situation: Zuweilen erlegen Wölfe sogar mehr Nutztiere, als sie sofort fressen können. Neuwald erklärt das so: “Das Überangebot von Beute auf einer Weide stellt für den Wolf eine unnatürliche Situation dar, weshalb er eventuell mehr Tiere tötet, als er sofort verspeist.” Weil die eingezäunten Weidetiere nicht flüchten können und der Jagdtrieb des Wolfes dadurch immer wieder ausgelöst wird, spricht man vom sogenannten ,Beuteschlag-Reflex’ – umgangssprachlich auch „Blutrausch“. Neuwald: “Normalerweise würden Wölfe, die auch Aas zu sich nehmen, später zurückkehren, um die überschüssige Beute zu fressen.” Am gefährdetsten sind Schafe und Ziegen, aber auch kurzzeitig von den Elterntieren getrennte Kälber oder Jungrinder können potenzielle Beute sein. Am wenigsten interessant sind Pferde. Die sind ausgesprochen wehrhaft und Stuten verteidigen ihre Fohlen erbittert. Das sind also die Fakten, mit denen es umgehen heißt. Denn weder werden die Wölfe wieder verschwinden, noch ist Selbstjustiz eine Lösung.

Der Abschuss ist keine Lösung

Die jüngsten Abschussanträge der Landwirtschaftskammer für Bär und Wolf in Tirol wurden bekanntlich abgelehnt. Und wären auch eine Scheinlösung, sagt WWF-Experte Christian Pichler: “Es ist kurzsichtig zu glauben, ein Abschuss löse die Konflikte. Steigende Populationszahlen in den Nachbarländern werden immer wieder dazu führen, dass Wölfe und Bären durch heimische Gefilde streifen und sich ansiedeln.

Die einzig langfristige und rechtskonforme Lösung ist wirksamer Herdenschutz und ausgewogene Beratung für Landwirte – wie in der Schweiz und Deutschland erfolgreich praktiziert”. Auch Neuwald sagt zur Frage, ob eine eingeschränkte Bejagung helfen könnte, Schäden an Nutztieren zu verhindern: “Nein. Die Tötung eines Wolfes ist ein völlig ungeeignetes Mittel zum Schutz von Nutztieren.” Nach dem Abschuss einzelner Tiere, würden zuwandernde Wölfe die entstandene Lücke höchst wahrscheinlich schließen und Nutztiere, die nicht ausreichend geschützt sind, als leichte Beute nutzen. Auch für sie ist klar: “Herdenschutzmaßnahmen in Wolfsgebieten sind unabdinglich und können durch eine Bejagung keinesfalls ersetzt werden.”

Über abschreckenden Schmerz und optische Erhöhungen

 Doch wie geht wirksamer Herdenschutz? Eine Option sind Elektrozäune. 110 Zentimeter hoch und mit 4.000 Volt Spannung aufgeladen sollen sie laut internationalen Erfahrungen sein. Damit Wölfe sie nicht untergraben können, darf der unterste stromführende Draht nicht mehr als 20 Zentimeter über dem Boden verlaufen. Und so ein Zaun muss täglich kontrolliert werden, um zum Beispiel sicherzustellen, dass die hohe Spannung an allen Zaunabschnitten gewährleistet ist. Wie gut funktionieren Elektrozäune? Sehr gut. Wolfsexpertin und Naturforscherin Elli Radinger bestätigt “Ein schmerzhafter Stromschlag schreckt den Wolf in der Regel ab.”

Flatterbänder über dem Elektrozaun erschweren den Wölfen das Einschätzen der Hindernis-Höhe. ©Klingenberger

Helfen können auch Flatterbänder. Was ist das? Eine in der Regel nicht stromführende Breitbandlitze, die ca. 20 – 30 cm über dem Elektrozaun angebracht wird, so dass sie frei in der Luft hängt. “Der Zaun wird dadurch optisch erhöht und dem Wolf wird es erschwert, die Höhe des Hindernisses abzuschätzen”, so Radinger. Landwirtschaftskammer  Österreich-Präsident Josef Moosbrugger freilich bezeichnete den  Herdenschutz bei der Kleinstrukturiertheit der heimischen Betriebe und besonders bei extremen Standorten der Schafalpung erst jüngst als “absolut unpraktikabel”. Das widerlegen die erfolgreichen Bemühungen in der Schweiz und einzelne Vorreiter in Österreich”, entgegnet WWF-Experte Christian Pichler. “Nachbarländer mit wesentlich höheren Bestandszahlen großer Beutegreifer bewerkstelligen den Schutz vorbildlich.” Das Amt der Tiroler Landesregierung sieht das offenbar ähnlich und schaffte mobile Elektrozäune  zum kostenlosen Ausleihen an

Herdenschutzhunde als Helfer

Wer Herdenschutzzäune ablehnt, für den gibt es noch eine andere hocheffiziente Möglichkeit, dem Problem Herr zu werden. Die heißt Herdenschutzhunde. Dabei handelt es sich um imposante, große, kräftige, extra dafür ausgebildete Hunde wie den Pyrenäenberghund oder den Maremmen-Abruzzen-Schäferhund.  Sie werden schon als Welpen in eine Schaf- oder Ziegenherde integriert  und sehen sie als ihr Rudel an, das sie zu verteidigen bereit sind. Wölfen, wildernden Hunden, Füchsen, Rabenvögeln und Dieben, die sie als Bedrohung ansehen, stellen sie sich jederzeit in den Weg. Auch während der Dämmerung oder in der Nacht.

So sehen Sie aus: Die Herdenschutzhunde, die auch in Europa eine lange Tradition haben. ©Wikimedia Commons

Wie gut funktioniert die Abschreckung? Sehr gut. Neuwald sagt: “In den allermeisten Fällen werden Wölfe alleine durch die Präsenz und das laute Bellen davon abgehalten, Schafe anzugreifen.” Warum, ist auch klar: “Wölfe müssen stets Aufwand bzw. Verletzungsrisiko und Erfolg gegeneinander abwägen. Ein großer Hund ist eine Gefahr, der ein Wolf in der Regel aus dem Weg geht und dann nach leichterer Beute sucht.”

Ein Herdenschutzhund ist kein Hütehund

Mit den bekannten Hütehunden haben die Herdenschutzhunde aber nichts zu tun. Erstere, beispielsweise Border Collies, sollen die Herde tagsüber zusammenhalten, wenn zum Beispiel der Weg zu einer neuen Weide bewältigt werden muss. Ihre Stärke es ist, Befehle des Hirten präzise auszuführen. Herdenschutzhunde dagegen müssen mögliche Gefahren selbstständig einschätzen und eigenständig agieren. Ganz günstig ist diese Form der Wolfsabschreckung freilich nicht. “Zertifizierte Welpen aus geprüften Zuchtlinien kosten in etwa 1000 Euro. Dazu kommen die Kosten von Ausbildung, Futter und Tierarztgebühren von rund 1000 Euro pro Jahr.”

Der Salzburger Landwirt Georg Höllbacher, der als einer der Pioniere in Österreich gilt, was den Einsatz von Herdenschutzhunden gegen Wölfe betrifft, sagt: “Das sind keine Kuscheltiere”. Und: Das Problem an der an sich guten Sache ist, dass es keine kontrollierte bzw. zertifizierte Zucht und Ausbildung von Herdenschutzhunden ist Österreich gibt, wie etwa in der Schweiz. Dort wird aber hauptsächlich für den Eigenbedarf gezüchtet. Abgesehen davon bringen Herdenschutzhunde weitere Herausforderungen. Oft fehlt es am Verständnis für ihre Arbeitsweise. Und am Wissen, wie man sich bei einer Begegnung zu verhalten hat, sowieso. Höllbacher bringt die Sache so auf den Punkt: “Die Herausforderung ist dabei nicht, die Hunde in die Herden zu integrieren, sondern die Information der Bevölkerung”. Neu ist die Sache mit den Herdenschutzhunden übrigens nicht: In Italien, Rumänien und Bulgarien, in denen Wolf und Bär nie ausgerottet wurden, gibt es diese Tradition bereits sehr lange. Einen 100prozentigen Schutz vor Wolfs-Übergriffen? Gibt es trotz all dieser Bemühungen aber nicht. Nabu-Expertin Neuwald ist dennoch guter Dinge: “Wo flächendeckend Herdenschutzmaßnahmen eingesetzt werden, zeigt sich, dass die Wolfsangriffe so stark zurückgehen, dass sie zur seltenen Ausnahme werden.” Das ist doch schon mal was!