Ecken und Kanten erwünscht
Die Zeit der Kraftlackln ist vorbei. Weniger Alkohol, dafür mehr Charakter. Solche Weine bevorzugt man heute. Michael Martin erzählt seine Winzer-Geschichte.
Seit 1985 mache ich Weine. Jedes Jahr bessere. Aber ganz ehrlich: irgendwie habe ich mir eingestehen müssen, dass die Weine im Laufe dieser „Verbesserung“ immer gleichförmiger geworden sind. Schon schöne Weine, aber ein bisserl geschminkt, fast schon aufgeputzt. Ecken und Kanten? Fehlanzeige! Eine schmerzliche Erkenntnis für einen Vollblutweinbauern wie mich. Aber dafür 2011 wenigstens zum richtigen Zeitpunkt, denke ich mir.
Denn in der Mitte des Arbeitslebens durfte ich mir auch einmal die eine oder andere grundsätzliche Fragen erlauben. Zum Beispiel: Wie legen wir die zweite Halbzeit an? Meine Antwort: Ecken und Kanten werden wieder Platz haben. Was habe ich in meinem persönlichen Wendejahr 2011 noch entschieden? Zum Beispiel, dass mein Hof ein Familienbetrieb bleiben soll, den ich später einmal gut an eines meiner Kinder weitergeben kann. Das Ziel waren ca. 20 ha Weingarten mit österreichischen Burgunderweinen, meinen erklärten Lieblingen. Da die betrieblichen Einrichtungen auf einem guten Stand waren, habe ich mir Verbesserungen auf dem Gebiet erspart. Klar kann man immer mehr Geld reinstecken und dann leichter und schneller produzieren. Aber das sollen die machen, die sich der breiten Masse verschrieben haben. Als Weinbauer bin ich kein Industrieller.
Aufbauarbeit im Weingarten: Auf dass es so richtig wurlt!
Ich sage, dass nachhaltige Verbesserungen primär aus dem Weingarten kommen. Dort spielt die Musi. Und auf diesen Bereich habe ich mich deshalb zuerst konzentriert. Vor allem der Boden hat es mir angetan. Weil aus dem Boden alles kommt, was die Pflanze braucht, um hervorragende Trauben wachsen zu lassen. Wir haben also begonnen, besser zu begrünen und durchzulüften, weil wir mehr Lebewesen im Boden, mehr Bienen, Insekten und Kleinstlebewesen und eine größter Pflanzenvielfalt wollten. Warum? Weil für den guten Wein alle mitarbeiten! Dann haben wir die Düngung angepasst.
Ist ja wie beim Menschen, wer nur einseitige Nahrung zu sich nimmt, wird zwar dick, aber nie satt. Also ausgewogener sollte die Sache werden. Blöd ist dabei natürlich, dass man die Wirkungen erst nach ein bis zwei Jahren sieht – und man erst dann wieder etwas ändern kann, um auch das Feintuning hinzukriegen. Blöd dann auch, dass das Wetter nicht wirklich mitgespielt hat. Zuerst ein Frost, dann Dürre und dann (2014) wieder zu viel Regen. Es war zum Schei…benhonig. Aber der Kapitän blieb auf der Brücke und vergoss das eine oder andere Tränchen nur im Geheimen.
Wohin geht die Reise eigentlich?
Auch wenn 2014 kein ermutigendes Jahr war, haben wir doch immer gewusst, wohin die Reise gehen soll. Unsere Weine sollten typischer und auch leichter werden, denn die kräftigen Jahre sind vorbei. Weniger Alkohol also, dafür ein vollerer Duft, ein reiferer Geschmack, rund, aber doch mit Ecken und Kanten, eben eigenwillig – wie alles im und um den Martinshof.
Anders ausgedrückt: Man trifft sich mit einem Freund, quatscht intensiv, der Wein schmeckt, man öffnet eine zweite Flasche und das Gespräch nimmt noch einmal richtig Fahrt auf. Diese Art von Wein wollten wir machen! Einen, der beflügelt und nicht einen, der einen erschlägt.
Wenn’s passt, dann passt’s
Ich fordere von meinen Weingärten mehr, gebe ihnen aber auch alles, um die Leistung bringen zu können. Stress gibt´s sicher nicht. Den würde man sowieso im Wein schmecken. Unsere und meine Ideen sind jetzt aufgegangen. Weine vom Martinshof sind jetzt leichter im Alkohol, aber voller im Geschmack. Sie sind gehaltvoller, aber nicht üppig.
Sie sind sogar mit weniger Aufwand im Weinkeller zu verarbeiten. Die Schminke ist passé, dafür sind sie jetzt eigenwilliger. Der Boden, das Leben im Boden, der Rebstock und die Trauben, alles hilft mit, das zu liefern, worauf Sie sich freuen können! Auf Ihr Wohl! Michi Martin
Autor: Michael Martin, Weingut Martinshof