Agrarvertreter fordern Innovation Deal für zukunftsfähige Landwirtschaft: Forschung & Entwicklung sollen stärker gefördert werden.

Bauer steht auf Bauernhof vor Vieh

Rund 800 Landwirte laden zu Hoftouren und klären in sozialen Medien über ihre Arbeit auf. ©Panthermedia

Eine Agrarpolitik der Chancen, Möglichkeiten und Perspektiven forderten kürzlich die Experten beim achten IGP Dialog zum Thema „Vom Green Deal zum Innovation Deal: Braucht es eine Agrarpolitik des Ermöglichens?“ Christian Stockmar, Obmann der IndustrieGruppe Pflanzenschutz (IGP), hob vor dem Hintergrund der Farm to Fork-Strategie den Nutzen von Innovation insbesondere zur Reduktion des Betriebsmitteleinsatzes hervor. Niederösterreichs LH-Stellvertreter Stephan Pernkopf bekannte sich zu einer landwirtschaftlichen Produktion in Europa und zum österreichischen Weg mit einem Betriebsmitteleinsatz mit Hausverstand. Anschließend forderten Norbert Lins (Vorsitzender des Agrarausschusses im Europäischen Parlament), Bauernbund-Präsident Georg Strasser und Henrik Tesch (Geschäftsführer des Forums Moderne Landwirtschaft) eine umfassende Folgenabschätzung zur Farm to Fork-Strategie, einen stärkeren Dialog zwischen Bauern und Konsumenten und mehr Aufklärung über die Notwendigkeit von Innovation in der Landwirtschaft.

Für eine zukunftsfitte Landwirtschaft

Landwirte setzen zahlreiche Maßnahmen, um einer Ausbreitung von Beikräutern, Krankheiten und Schädlingen vorzubeugen. Kommt es trotzdem zu einem Befall, sind sie aufgrund fehlender Wirkstoffe oft machtlos. Das belegen die Zahlen seit den 90er Jahren: Damals hatten die Landwirte ca. 1.000 Wirkstoffe zur Verfügung, heute sind es in Österreich nur mehr 273. Im selben Zeitraum sank der Selbstversorgungsgrad in Österreich bei Getreide von 121 auf 87, bei Gemüse von 73 auf 54 und bei Ölsaaten von 44 auf 28 Prozent. Stockmar: „Uns allen sollte klar sein: Das ist der falsche Weg. Daher sehen wir die Reduktionsziele in der Farm to Fork- und in der österreichischen Biodiversitätsstrategie kritisch und fordern eine wissenschaftsbasierte und unabhängige Folgenabschätzung.“

„Nur durch Innovation erreichen wir eine fortschrittliche Landwirtschaft, die die wachsenden Anforderungen erfüllen kann“, meinte Stockmar. Bei Pflanzenschutzmitteln konnten durch bessere Formulierungen und Wirkstoffe die ausgebrachten Wirkstoffmengen seit den 1950er Jahren um 95 Prozent reduziert werden. „Innovation ist also ein wesentlicher Beitrag zum Erreichen der Ziele in der Farm to Fork-Strategie. Die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln investieren daher bis 2030 insgesamt zehn Milliarden Euro für die Forschung und Entwicklung von digitalen Lösungen und zusätzlich vier Milliarden in die Entwicklung von biologischen Pflanzenschutzmitteln. Damit entwickeln wir für alle Bewirtschaftungsformen Lösungen, um Pflanzen und den Boden gesund zu erhalten“, so Stockmar.

Stephan Pernkopf ging auf den Nutzen von Innovation im Betriebsmittel-Bereich ein: „Betriebsmittel sind notwendig, um ressourcenschonend genussfähige Lebensmittel zu produzieren. Werden Betriebsmittel verboten und sind die Produkte dann nicht genussfähig, wird in deren Produktion aber trotzdem Energie investiert. Das ist umweltpolitisch zu hinterfragen.“ Zur Deckung der Eigenversorgung müssen zudem Produkte aus anderen Ländern importiert werden. Dies sei angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen 2050 nicht zielführend. Pernkopf: „Eine Auslagerung der Produktion kann nicht das Ziel sein. Europas Landwirtschaft braucht eine nachhaltige Intensivierung und kein agrarpolitisches Disney-Land. Wir wollen eine Lebensmittelproduktion vor der Haustür. Wir wünschen uns daher: Gehen wir gemeinsam den österreichischen Weg: Regional, mit höchsten Standards und mit Hausverstand.“

Investitionsförderungen

Die EU-Kommission hat zur Farm to Fork-Strategie viele Fragen gestellt bekommen, aber nur wenige Antworten geliefert. Dies betrifft etwa die Aufteilung der Reduktionsziele bei Betriebsmitteln auf die einzelnen Mitgliedsstaaten oder die Referenzwerte, welche die Grundlage der Ziele bilden. Die Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen sinkt, es gibt keine Alternativen und die Zulassungsprozesse dauern zu lange.

Die Verleihung des Nobelpreises an jene Forscherinnen, die Crispr-Cas entwickelt haben, sei daher ein wichtiges Signal, um der Landwirtschaft moderne Technologien zugänglich machen zu können. Aber es brauche in der Folge auch Modelle, damit Maschinen und Innovationen von allen Betrieben in allen Regionen genützt werden können. Genossenschaften und der Maschinenring wären solche Modelle und werden in der Zukunft eine Rolle spielen. Investitionsförderungen für Digitalisierung und Technisierung sollen die Landwirte zusätzlich unterstützen, damit sie die gesellschaftspolitischen Anforderungen erfüllen können.

Gesellschaftsvertrag über Landwirtschaft von morgen

Innovation und Digitalisierung sind wichtige Stellschrauben für Verbesserungen in der Landwirtschaft. Dabei darf keine Technologie von vornherein verteufelt werden, sondern Wissenschaftler sollen diese analysieren und einordnen. Damit die betriebswirtschaftliche Rechnung stimmt, sollten bei der Weiterentwicklung der Landwirtschaft genossenschaftliche Modelle und Einkaufsgemeinschaften gefördert werden. Zudem muss es durch Innovation auch zu einer Effizienzsteigerung kommen. Der erste große Schritt ist flächendeckendes Breitband-Internet, das die Lebensqualität am Land hebt und zum Betrieb von digitalen Lösungen und modernem Gerät notwendig ist.

Ein neuer Vertrag zwischen Bauern und der Gesellschaft soll die Frage beantworten, in welche Richtung sich die Landwirtschaft entwickeln soll. Österreich hat durch Innovationsprojekte und politische Programme zur Verbesserung des Umweltschutzes eine Vorreiterrolle inne. Deshalb wird im Agrardiskurs insbesondere auf europäischer Ebene eine Erweiterung der Perspektiven gefordert: Einerseits bringt die Farm to Fork-Strategie einige Verschlechterungen für die Konsumenten, wenn vermehrt Produkte importiert werden müssen. Andererseits sollten steigende Auflagen nicht dazu führen, dass es zu einem Bauernsterben kommt. Ein wichtiger Schritt bei der Gemeinsamen Agrarpolitik ist die Möglichkeit, nationale und regionale Programme in die EU einbetten zu können.

Mehr Förderungen für F&E und Agrar-Start-ups

Große Betriebe sind eher in der Lage, hohe Anforderungen und Auflagen zu erfüllen, als kleine. Aber das sollte nicht das Ziel sein. Etwa bei Hygienestandards in der Tierhaltung sieht man, dass der Anteil großer Betriebe dadurch gestiegen ist. Auch deshalb braucht es eine Folgenabschätzung zur Farm to Fork-Strategie. Zudem müssen Forschung und Entwicklung sowie Start-ups im Agrarbereich stärker gefördert werden. So gibt es selbstfahrende Maishäcksler, die innerhalb einer Minute gleichzeitig mittels 6.000 Einzeluntersuchungen messen, wie viel an Nährstoffen dem Boden durch die Ernte entzogen wurde. So kann der Landwirt bedarfsgerecht düngen und Kulturpflanzen gesund erhalten. Wichtig ist aber eine Kombination von unterschiedlichen Maßnahmen.

Alle Teilnehmer appellierten, den Dialog zwischen Politik, Landwirtschaft und Konsumenten zu verstärken. Das würde das Vertrauen in die Landwirtschaft und die Produkte erhöhen, weil es zwangsläufig mehr Transparenz schafft. Das Forum Moderne Landwirtschaft hat dazu das System der Agrarscouts geschaffen: Rund 800 Landwirte laden zu Hoftouren und klären in sozialen Medien über ihre Arbeit auf. Auch beim Thema Innovation bedarf es einer verstärkten Aufklärung, denn die Geschichte der Landwirtschaft ist eine der Innovation …