Warum gerade kuschelige Lamas unsere Schafherden künftig vor Wölfen bewahren könnten und das keine eigenwillige Idee von Spinnern ist.

Lamas sind wie auch Alpakas eine domestizierte Form der Neuweltkameliden. ©Unsplash

Wenn man aussieht wie ein zuckersüßes Schmusetier, aber eigentlich keines ist, dann kann das durchaus Vorteile haben. Bei Lamas ist das so. Die haben etwa überhaupt kein Problem, Kojoten in die Schranken zu weisen. Und auch manch Dingo, Luchs oder streunender Hund hat sich schon gewünscht, sich nicht mit den kuscheligen Gesellen angelegt zu haben. Genau diese angriffigen Eigenschaften macht man sich in den USA, Australien und zum Teil in England längst zu Nutze. Dort schützen sie Schafherden vor Raubtieren. Das funktioniert auch deshalb so großartig, weil Lamas zu einer Herde eine soziale Bindung aufbauen könne. Sie sind dann sehr aufmerksam und neugierig, patrouillieren in der Herde oder halten auf erhöhten Punkten Ausschau nach Gefahr. Dabei kommt ihnen ihre angeborene Abneigung gegen Hundeartige zu Gute. Welche Tiere – Schafe, Ziegen, Milchkühe oder Federvieh  – sie auch immer vor ihnen schützen sollen, sie tun es.

Alles andere als zimperlich

Was passiert, wenn ein Raubtier es wagt, ihre Herde zu stören? Sie stoßen einen Warnschrei aus und stellen sich zwischen Angreifer und Herde, oder greifen gleich an. Sie rennen dann auf den Angreifer zu und versuchen ihn mit heftigem Stampfen, Ausschlagen und Beißen zu vertreiben. Alleine ihre Größe und ihr stolzes Gehabe schreckt übrigens schon ab. Zugute kommen ihnen bei in ihrem Job ihre Augen: “Das Zusammenspiel von sehr guten Augen und der Größe der Tiere führt dazu, dass sie Raubtiere sehr früh sehen. Da Lamas noch grösser sind und zudem keine Haare um die Augen haben, erkennen sie Raubtiere früher als Alpakas”, sagt Lamahalter und Experte Bruno Horn, der sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigt. Warum er das tut, liegt auf der Hand. Auch in Europa fühlen sich Lamas wohl und könnten künftig neben Hunden verstärkt beim Schutz von Schafsherden zum Einsatz kommen. In der Schweiz hat man bereits Erfahrungen mit den Tieren im Herdenschutz gesammelt. Dort wurden sie punktuell gegen den Luchs eingesetzt. Inwieweit sie Schutz gegen einzelne Wölfe bieten können, wird seit 2012 im Pilotprojekt „Herdenschutz mit Lamas“ erforscht. Da kam raus: Ein Alpaka pro 100 Schafe auf 20 Hektar ist ein durchaus erfolgsträchtiger Schlüssel.

Haben Lamas den siebten Sinn?

Horn kennt einen Schweizer Züchter, der schon vor 15 Jahren mit einer Spezialbewilligung ein Lama in seine Schafherde integriert hat. Die Geschichten, die er erzählt sind ebenso witzig wie spannend:

“Als sich ein Luchs in der Gegend aufhielt, wusste das Lama immer genau, wo sich der Luchs aufhielt – obwohl er nicht sichtbar war, das war an seiner Körperhaltung abzulesen. War er in der Nähe, postierte es sich immer zwischen dem Wald, wo der Luchs war, und den Schafen. Verluste hat es nie gegeben.”

Als sich eines seiner Schafe in die nachbarliche Herde verirrte, trat das Lama sofort in Aktion: “Es ging hin, sonderte dieses eine Schaf aus und führte es ebenfalls zum Haus.”  Und bewegten sich die Schafe Richtung abwärts, gegen außerhalb des bekannten Weidegrundes, rannte das Lama unten hin und her, bewegte Hals und Kopf sehr schnell („wie ein Besen“) und hielt so die Schafe davon ab, den Weidegrund zu verlassen.

Abtrünnige Schafe haben keine Chance. ©Agridea

Und was spricht sonst noch so für Lamas? Horn kennt die Vorteile: “Lamas und Alpakas sind pflegeleichter und günstiger als Hunde. Sie bellen keine Wanderer an und fressen dasselbe Futter wie die Schafe. Im Winter sind sie einfacher zu halten. Sie sind ruhig, stören keine Nachbarn und können einfach mit den Schafen eingestallt werden.” Im Übrigen bräuchten sie keine teure Ausbildung, seien länger einsatzfähig als Hunde und in der Regel schneller in neue Herden zu integrieren. “Der Wolf ist ein Opportunist. Das ist seine Überlebensstrategie. Er setzt seine Kräfte vorsichtig ein und vermeidet wenn immer möglich Kämpfe, welche ihn schwächen würden. Das heißt: er holt sich sein Futter dort, wo es am Einfachsten, mit möglichst wenig Aufwand, erreichbar ist”, sagt Experte Horn. Das sind in erster Linie junge oder alte und schwache oder kranke Tiere, die nicht effizient flüchten können. Gibt es aber Hungerdruck, ändert sich die Strategie. Wölfe gehen dann mehr Risiken ein, um an Futter zu kommen. Ergo müsse man die Herden so schützen, dass es für den Wolf einfacher und sicherer ist, Wildtiere anstelle von Schafen zu jagen. Aber können Lamas das? Sie sind groß und stolz, der Kopf ist weit oben verglichen mit einem Wolf. “Das wirkt grundsätzlich abschreckend”, sagt Horn. Abgesehen davon seien Lamas neugierig.

“Anstatt davonzurennen gehen Lamas auf den Wolf zu. Diese Verhaltensweise ist für den Wolf neu und verunsichert ihn. Das Jagd- und Hetzverhalten, das durch die flüchtenden Schafe ausgelöst wird, wird durch die Lamas unterbrochen.”

Und schließlich ist da noch die Omnipräsenz. Lamas sind überall, in der Herde, auf erhöhten Punkten mit guter Übersicht, am Patrouillieren. Das ist ebenfalls eine Verhaltensweise, die den Wolf verunsichert. “Der Wolf, der sein Ziel vor dem Angriff immer über längere Zeit beobachtet, um die Risiken einzuschätzen und eine Strategie zu entwickeln, sieht die Lamas immer wieder an den unterschiedlichsten Orten, was es für ihn sehr schwierig macht.” Und wenn er sich doch traut? Stoßen die Lamas Warnrufe aus, langanhaltende, durch Mark und Bein gehende Schreie. Als letzte Stufe schließlich spucken und schlagen mit den Vorderläufen auf den Angreifer ein. Aber kann ein Lama sich auch gegen ein ganzes Wolfsrudel durchsetzen? Horn winkt ab: “Ein einzelnes kaum, es müssen sicher mehrere eingesetzt werden.” Der Mensch zählt übrigens nicht zu den Hundeartigen. Von daher gab es noch nie Übergriffe und sind auch keine zu erwarten.