Die kleinen Unbekannten
Im Mostviertel gibt es mehrere Hundert Mostbirnensorten, die zum Teil keiner mehr kennt. Oder sagen wir gab. Denn zwei Pomologinnen schafften Abhilfe.
Was tut eine Pomologin so den ganzen lieben langen Tag? Sie beschäftigt sich mit Obst, bestimmt es, teilt es einer in der Literatur schon beschriebenen Sorte zu oder legt eine neue an. Das Mostviertel ist so etwas wie das Schlaraffenland der Pomologen, weil dort so viele Obstbäume auf Streuobstwiesen rumstehen. 1930 hat man alleine nur rund um Amstetten eine Million davon gezählt. Und auch heute geht man alleine bei den Mostbirnbäumen im Mostviertel immer noch von rund 300.000 aus, die mehrere hundert Sorten tragen. Davon sind aber gerade einmal 100 beschrieben und 15 werden für die Mostobstproduktion wirklich genutzt. Weil das irgendwie auch eine Art Ressourcenverschwendung ist und viele Sorten durch überalterte Bäume, Krankheiten und Rodung nach und nach verloren gehen, hieß es gegensteuern – alleine aus Gründen der Diversität. Abgesehen davon könnten einem auch Sorten entgehen, die beispielsweise dem Klimawandel trotzen. Um all das zu verhindern, sollten die Pomologinnen Gerlinde Handlechner und Martina Schmidthalter die Sachlage ein für alle Mal klären. Und zwar aufgrund äußerer Merkmale der Früchte wie Farbe, Reifezeit, Form, Stiel, Kelch, innerer Merkmale wie Kerngehäuse und Fruchtfleisch sowie des Geschmacks.
Getan haben sie das im Zuge des Leader-Projekts „Sortenvielfalt im Mostviertel“. Mit Hilfe der Bevölkerung wurden möglichst viele Mostbirnen und Wirtschaftsäpfel pomologisch bestimmt und beschrieben. Dafür legte man Bestimmungstage fest, an denen jedermann die Früchte seiner Streuobstwiesen an zehn Sammelstellen ganz formlos vorbei bringen konnte. Über 1.200 Proben kamen so schließlich in zwei Jahren zusammen und mehr als 270 regionstypische Apfel- und Birnensorten wurden bis September 2018 beschreiben.
Da war sie, die Graukelbirne
Und dann tauchten sie tatsächlich auf, die vorher noch völlig unbekannten Sorten. Etwa die Graukelbirne, eine früh reifende Dörrbirne aus Kollmitzberg und Ardagger Stift. Oder die Simmentaler Mostbirne, eine sehr große, spät reifende Mostbirne aus dem Pielachtal. Wie die zu ihrem Namen kommen? “Meist wird der regional verwendete genommen, den der Überbringer nennt“ so Handlechner. Auch in Sachen verloren geglaubter Sorten wurde man wieder fündig. Die haben insbesondere in höheren Lagen rund um Gresten und Reinsberg überlebt, wo viele alte Obstbäume und Sorten erhalten geblieben sind und kleinräumig auftreten. Zwei der überraschenden Wiederentdeckungen sind die Schleichers Mostbirne oder aber auch die Lange Wasserbirne, die schon 1929 von Löschnig beschrieben wurde. All ihre neuen Erkenntnisse machen Handlechner und Schmidthaler der Öffentlichkeit zugänglich. Darin haben sie genug Erfahrung. Schließlich haben sie schon vor 20 Jahren ein Buch über Sortenvielfalt verfasst. Ihr neues Werk „Äpfel & Birnen – Schätze der Streuobstwiesen“ erscheint im Mai 2019. Und was passiert mit den wiederentdeckten und bisher unbekannten Sorten? Die werden natürlich für die Nachwelt erhalten. Und da kommt die Arche Noah in Schiltern ins Spiel, die sich der Erhaltung alter Sorten widmet. Dort hat man nämlich extra einen neuen Sortengarten dafür angelegt. Um die Mostbirnen-Zukunft muss einem also nicht bange sein.
www.mostviertel.at
Über die Mostbirnen Bereits vor rund 6.000 bis 8.000 Jahren soll die Ur-Ahnin der Mostbirne – die Wild- oder auch Holzbirne genannt – vom Balkan in unsere Wälder gekommen sein. Aus dieser entwickelten sich verschiedene Sorten. Die bekanntesten sind zum Beispiel Speckbirne, Knollbirne, Dorschbirne, Grüne und Rote Pichelbirne und viele mehr. Ein Großteil aller Sorten soll im Mostviertel vorzufinden sein.
Pomologische Bestimmungen Pomologisch bestimmen heißt, einzelne Obstsorten eindeutig einer schon in der Literatur beschriebenen Sorte zuzuordnen. Birnen und Äpfel haben eindeutige Erkennungsmerkmale. Dazu werden Form, Farbe, Reifezeit, Stiel und Kelch sowie innere Merkmale der Frucht, Kerngehäuse und Fruchtfleisch, Geschmack und einige weitere Parameter verglichen. Liegt eine Sorte nur einmal vor, ist die Bestimmung schwierig. Dann wird ein zweiter Baum dieser Sorte gesucht, denn erst wenn es zumindest zwei Bäume dieses Typs gibt, kann von einer Sorte gesprochen werden.