Trendforscherin Hanni Rützler wirft im Food-Report 2021 einen Blick auf die Zukunft am Teller. Und die wird regional und nachhaltig mit “Putz und Stingl”.

Frau schaut durch einen Ring aus Bohnen

Ernährungswissenschaftlerin und Trendforscherin Hanni Rützler. ©Thomas Wunderlich

Als Leitfigur der Ernährungsbranche analysiert Hanni Rützler alljährlich unser Essverhalten. Was bleibt am Teller? Gibt es potenzielle neue Foodtrends? Wohin geht die kulinarische Reise? Die gute Nachricht ist: Es wird wieder gekocht; die Pandemie hat Einfluss auf unser Essverhalten genommen. Der Shutdown der Gastronomie hat uns an den Herd gebracht, „Spaßfaktor“ inklusive. Kochen ist wieder kreativ und lustvoll. Und – Lebensmittelkunde ist ganz und gar nicht langweilig. Wer heute etwas über seltene heimische Getreidesorten zu erzählen weiß, ist cool. Allerdings wird in den heimischen Küchen kein Einheitsbrei zubereitet, sondern mit mehreren Bedürfnissen jongliert, auch innerhalb der Familien. Nur weil der Papa Fleisch mag, müssen nicht alle anderen auch Fleisch essen. Ernährung wird immer mehr von sehr persönlichen Komponenten und Wertvorstellungen beeinflusst. So wird sich unser Fleischkonsum auch weiterhin verringern – nicht nur aus gesundheitliche, sondern auch aus tierethischen und ökologischen Gründen. Und wer auf den Fleischgenuss auf keinen Fall verzichten will, wird verstärkt Nachhaltigkeit und Qualität fordern.

Ernährung und Gesundheit

Es gibt ganz klar Foodtrends, die durch die Krise gestärkt wurden. So haben sich Ernährung und Gesundheit, beschleunigt durch den Virus, zum Binom entwickelt, zum Megatrend. Andere wiederum, wie die „Snackification“ oder das „Convenience Cooking“, die Essenszubereitung aus fertigen und halb fertigen Lebensmitteln ohne großen Zeitaufwand, sind eindeutig passé – zumindest vorübergehend. Stattdessen kommen vermehrt frische, regionale und saisonale Zutaten in den Einkaufswagen. Das Wissen um die Herkunft des Produktes wird immer wichtiger. Das zugestellte Kisterl mit frischem Gemüse und Obst ist heiß begehrt. Das hat nicht nur mit pandemischen Gesundheitsüberlegungen zu tun, sondern auch mit der gewonnen Zeit durch Homeoffice aber auch dem Wunsch, heimische Produzenten gerade in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen.

Ghost Kitchen, Biodiversity & Liquid Evolution

Das sind einige Schlagwörter, die neue Entwicklungen am Food-Sektor beschreiben. Lieferservices und Take-away-Angebote gewinnen an Bedeutung. Besonders in den sogenannten Ghost Kitchens sieht Hanni Rützler ein großes Trend-Potenzial. Aus diesen Küchen wird nur ausgeliefert, Standort und Einrichtung spielen keine Rolle und das spart natürlich Kosten. Die Biodiversität hingegen spiegelt unseren Wunsch nach frischen und regionalen Lebensmitteln wider. Zudem sorgt sie nicht nur für eine Bereicherung unserer Produktpalette, sondern stärkt auch in Zeiten des Klimawandels die Landwirtschaft. Bei der Liquid Evolution geht es um den Trend von alkoholfreien Alternativen. Es sind vor allem junge Start-ups, die mit trendigen, urbanen Drinks aufhorchen lassen.

Die Megatrends

Food Report 2021

Hanni Rützlers Food Report erklärt die wichtigsten Trends, Entwicklungen und Zukunftsthemen für Food and Beverage. Mit Brancheninsights, Themen-schwerpunkten und Best Practices aus aller Welt dient er Lebensmittel-herstellern, Gastronomen und Lebensmittelhändlern als Grundlage für Zukunftsentscheidungen. Ganz besonders in der Krise.  Mehr Infos »

Bei der Entscheidung „Was esse ich“ spielen laut Rützler sogenannten Megatrends mit, die sich auf alle Bereiche unseres Lebens auswirken. Das sind keine kurzfristigen, sondern langzeitig gewachsene Entwicklungen, die unsere Gesellschaft über Jahrzehnte prägen. Die bereits angesprochene Individualisierung, aber auch Female Shift, New Work und Neo Nature gehören zu diesen Megatrends. Das Wort Individualisierung spricht für sich – Ernährung hängt immer mehr von persönlichen Bedürfnissen ab. Ich esse, was ich will, mit wem ich will und wann ich will. Ernährung verliert zudem seine geschlechtsspezifische Zuweisung – Food wird unisex. Es gibt keine weiblichen oder männlichen Geschmacksvorlieben mehr, eine Entwicklung, die man als Gender bzw. Female Shift bezeichnet. Der Megatrend New Work spricht auf die Tatsache an, dass Essen eine Nebenbeschäftigung, immer mehr ein Teil unserer Multitaskingaktiviäten wird. Wir versorgen uns den ganzen Tag über mit Kleinigkeiten, und das überall im Auto, am Schreibtisch…

Drei große Hauptmahlzeiten – das war einmal. Und schließlich spricht Rützler auch vom Megatrend Neo Nature. Wir wollen das unsere Mahlzeiten zum Erhalt der Umwelt beitragen und richten unser Essverhalten danach: „Zero waste“, „From nose to tail“ und „From leaf to Root“ – Abfall minimieren und die Lebensmittel im Ganzen nutzen. Oder kurz und einfach ausgedrückt: Wir essen den Apfel aus Österreich mit Putz und Stingl.

Fooddesign und flatterhafte Konsumenten

Food Designer entwickeln nach wie vor Neues für den Teller. So beschert uns beispielsweise gerade eine speziell in der Schweiz gezüchtete Kakaobohne rosa Schokolade. Aus der bunten Vielfalt von Foodtrends können wir frei wählen. 

Das tun wir auch. Wir wollen nach wie vor günstig essen, legen aber auch Wert auf Gesundheit, Genuss und Bequemlichkeit. Wir lassen uns nicht wirklich festlegen. Auch wenn wir zu Hause nachhaltig und regional kochen, ab und zu genehmigen wir uns trotzdem einen Fast Food Burger. Wir greifen beim Edelgreisler zu besonders exquisiten Schmankerln und doch kaufen wir unser Basics beim Discounter ein. Wir sind also multioptionale Verbraucher, hybride Konsumenten. Unser Gewissen leitet uns immer mehr, aber manchmal gewinnt dann doch die pure Genusslust und/oder die Neugierde.