Warum rosa Joghurt von grünen Löffeln am süßesten schmeckt, man Suppen nicht mit neuen Klobürsten umrühren soll, und “Riechen von hinten” wichtig ist.

Die Zunge ist nur Teil eines “Netzwerkes von Sinnessystemen”, das die sinnliche Wahrnehmung verantwortet. ©Unsplash

Essen Sie Ihr Joghurt mit einem Löffel? Ja? Dann Obacht, denn der Kontrast des Joghurt zum Löffel beeinflusst die wahrgenommene Salzigkeit, die Süße, wie gut er schmeckt und auch die Einschätzung des Preises. Kein Schmäh, alles wissenschaftlich belegt. Wer’s gern weniger süß hat, der greift zum schwarzen Löffel – vorausgesetzt das Joghurt ist weiß oder rosa. Die Süßen sollten dagegen auf grüne und weiße Löffel setzen.  Wer beschäftigt sich mit so was? Lebensmittelsensoriker Klaus Dürrschmid. Der leitet nicht nur das Labor für Sensorik und Konsumentenwissenschaften am Institut für Lebensmittelwissenschaften der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien, sondern ist auch leidenschaftlicher Koch und hat gerade das Buch “Zungenbekenntnisse” geschrieben, das sich mit der sinnlichen Wahrnehmung von Lebensmitteln und den daraus folgenden verhaltenssteuernden Erwartungen, Erinnerungen und Emotionen beschäftigt. Warum dieses Thema? Weil es zu unserem Glück beiträgt.

“Wenn man in Betracht zieht, dass intime Beziehungen – bei amerikanischen Testpersonen – im Durchschnitt täglich 12 Minuten beanspruchen, das Essen aber 132 Minuten, also das Elffache, dann wird klar, dass Essen und die damit verbundenen sinnlichen Wahrnehmungen ein ganz wesentlicher Faktor bei der Entstehung von alltäglichem Wohlbefinden und Glück sind. Wir essen etwa 9 Prozent der gesamten Zeit eines Tages und etwa 14 Prozent der wachen Lebenszeit. Mit 80 haben wir fünf Jahre nur gegessen! “

Genau deshalb sollten Sie ihre nächste heiße Schokolade vielleicht aus einem orangenen Häferl trinken. Sie schmeckt daraus nämlich signifikant stärker und besser nach Schoko als etwa in weißen Tassen. Genauso wie ein Café Latte aus einer weißen Tasse –  statt dem obligatorischen durchsichtigen Glas – intensiver, allerdings auch weniger süß schmeckt. Und wer seine Chipssucht endlich besiegen will, ist gut beraten, die auf einem roten Teller zu snacken. Dann greift man nämlich weniger oft hin.

Stichwort Ekel – Das Klobürstenexperiment

Eine ganz andere Geschichte ist die mit dem Ekel, dem Gegenspieler des Genusses: Für Sensoriker Dürrschmid: “Ein überaus interessantes Phänomen, das nicht nur in der Abwesenheit von Lust und Genuss besteht, sondern im Gegenteil eine intensive emotionale Empfindung der Ablehnung und des Widerwillens darstellt.” Dass die mitunter eigenwillige Ausmaße annimmt, stellte er anlässlich eines Seminars zum Thema Genuss fest, bei dem er in der Pause eine Suppe servierte, die mit einer Klobürste umgerührt wurde, die vor den Augen der Teilnehmer aus der verschweißten Plastik-Verpackung genommen worden war, also noch nie vorher verwendet wurde. “Obwohl der Klobesen klinisch rein war und die Suppe köstlich aussah und duftete, konnten und wollten fast alle Teilnehmer diese Suppe nicht essen. Sie assoziierten sie mit Fäkalien, mit denen die Klobürste üblicherweise in Kontakt gerät. Rätselhaft”, konstatiert der Sensoriker. Enträtselt hat die Sache Forscher Paul Rozin. Der formulierte die zwei Gesetze der Ekel-Entstehung. Das erste Gesetz des Ekels, die Ansteckung: „Einmal in Kontakt, immer in Kontakt.” Das zweite Ekel-Gesetz ist das Ähnlichkeitsgesetz: Das Bild ist das Objekt. “Ein hervorragendes Lebensmittel wie z.B. ein Schokoladekuchen, das wie ein Stück Fäkalie geformt ist, wird eklig, weil es mit dem nachgebildeten Objekt gedanklich gleichgesetzt wird.”

Vom Lob auf die Zunge zum Riechen, Sehen, Hören und der Textur

Übrigens kennen schon Neugeborene Ekel. Auf bitteren Geschmack reagieren sie mit eine angewiderten Herausstrecken der Zunge. Das Aufträufeln von süßem Wasser quittieren sie mit Entspannung und Lächeln. Was uns das sagt? Wir kommen schon mit Geschmack auf die Welt. Mit Glutamat übrigens auch. Denn Natriumglutamat ist schon in der Muttermilch zu finden. Die Zunge ist in Sachen Geschmack einer der Hauptdarsteller. Auf ihr gibt es etwa auch Rezeptoren für Geruchsstoffe  und sie kann nur zwei Mikrometer große Partikel erkennen. Allerdings braucht es noch mehr. Genauer gesagt ein “Netzwerkes von Sinnessystemen”. Denn Geschmack hängt bekannter Maßen aber nicht nur vom Schmecken ab. Riechen, Sehen, Hören und Textur von Essen nehmen ebenso großen Einfluss, wie wir eingangs schon gesehen haben. “Beim täglichen Essen und Trinken strömen alle vom Lebensmittel ausgehenden Sinnesreize immer in Kombination gleichzeitig auf uns ein, so dass sich aus diesen vielfältigen, parallel einlaufenden Wahrnehmungen und ihren Wechselwirkungen erst die eigentlichen Lebensmittelvorlieben und die Anreize zu einem bestimmten Verhalten ergeben.” Die traditionelle Zungenlandlandkarte ist übrigens überholt. Man schmeckt an den Zungenrändern alle Geschmacksarten. Aber das können Sie auch selbst testen:

© Experiment aus: “Zungenbekenntnisse”, Brandstätter Verlag

Was lernen wir sonst noch von Sensoriker Dürrschmid? Er vermittelt uns beispielsweise die Wichtigkeit des Nervus trigeminus (Drillingsnerv). Dabei handelt es sich um ein eigenes Sinnessystem, das uns die Schärfe von Chili wahrnehmen lässt.  Oder, dass der Geruch von Kaffee von Hunderten verschiedenen Komponenten erzeugt wird. Und dass es ein “Riechen von hinten” gibt (retronasales Riechen), das keine geringe Rolle spielt und vor allem nach dem Schlucken beim Ausatmen erfolgt. Eine Antwort gibt es übrigens auch noch auf die Frage, ob unser Geschmack degenerieren wird. Sie lautet: “Kommt drauf an”.

“Manchmal wird behauptet, dass der Geschmackssinn in den industrialisierten Gesellschaften immer schlechter würde, weil sie mit Unmengen von Geschmacks- und Aromastoffen konfrontiert werden würden, die die Industrie Lebensmitteln zusetzt. Tatsächlich gibt es keine Daten über die Entwicklung der Wahrnehmungsfähigkeit über die Zeit hin. Wir wissen einfach nicht, ob die Menschen zu Mozarts Zeit besser geschmeckt haben als wir heute.”

Die Wahrnehmungsfähigkeit einer Person, sagt Dürrschmid, hat genetische Ursachen und wird stark vom Geschlecht, vom Alter, persönlichen Ernährungsgewohnheiten, dem Gesundheitszustand und Lebensumständen beeinflusst.  “Was wir aber als Einzelpersonen tun können, um unsere Sinne funktionstüchtig zu erhalten und vielleicht gar zu schärfen, ist, uns ihrer bewusst zu sein, sie zu pflegen und zu trainieren. Riechen Sie bewusst an Kräutern, Blumen und Lebensmitteln und geben Sie dem, was sie
wahrnehmen, einen Namen. Jetzt rieche ich Thymian. So riecht Salbei.” Warum das kein schlechter Tipp ist? “Mit besseren Wahrnehmungsfähigkeiten werden Sie ein erfüllteres und glücklicheres Leben führen.”

Details zum Buch: Klaus Dürrschmid, Zungenbekenntnisse. Warum der Wein im Urlaub immer besser schmeckt und andere Fakten und Wunder aus der Welt der Sinne, Brandstätter Verlag, ISBN978-3-7106-0280-1, 240 Seiten, 22 Euro

Event-Tipp: Bei Thalia in 1030 Wien gibt es am 18. Februar um 19:00 eine “Taste Party” mit dem Autor.

Verlosung: Wir freuen uns, ein Exemplar der “Zungenbekenntnisse” von Klaus Dürrschmid zu verlosen! Zu gewinnen auf unserer Facebook  Seite!

Klaus Dürrschmid im Porträt
© Gianmaria Gava