Alt aber gut, oder neu und besser?
Was ist dran an den viel gelobten alten Getreidesorten? Sind sie wirklich verträglicher wie neue – etwa das gerade gehypte Tritordeum?
Tritordeum: Ein unaussprechlicher Name für eine relativ neue Getreidesorte, die derzeit in den Himmel gehoben wird, wie keine andere. Nachhaltig soll sie sein, widerstandsfähig gegen Krankheiten, wenig Wasser brauchen, einen besseren ökologischen Fußabdruck haben, an die rauen Bedingungen des Klimawandels angepasst sein und kein Problem mit heißen Temperaturen und Trockenheit haben. Der Tausendsassa entstand in den 1970er Jahren aus einer konventionellen Kreuzung aus Hartweizen und Wildgerste. Seit fünf Jahren wird er auch biologisch angebaut. Der schwierige Name ist schlicht ein Mix der beiden lateinischen Namen der beteiligten Sorten (Triticum durum und Hordeum chilens). Im Vergleich zu herkömmlichen Weizen? Hat Tritordeum einen hohen Anteil an Ballaststoffen mit positiven Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System; zehnmal mehr Lutein – ein für die Augengesundheit verantwortliches Antioxidans, das die Netzhaut vor Alterungseffekten und UV-Licht schützt – und einen höheren Anteil an ungesättigten Fettsäuren. Und dann ist da noch die Gluten-Sache. Tritordeum hat laut Studien einen deutlich niedrigeren Gehalt an Gluten-Proteinen, die mit Lebensmittelintoleranzen in Verbindung stehen, als Weizen. Das ist die eine Seite.
Tritordeum oder doch Khorasan und Waldstaude?
Auf der anderen Seite stehen die alten oder Ur-Getreidesorten. Ihre Verfechter propagieren in Sachen Brot aktuell gern den Griff zu Khorasan oder Waldstaude. Diese Sorten habe schließlich schon das Verdauungssystem unserer Vorfahren gekannt und entsprechend seien sie besser verdaulich als neue Sorten. Khorasan, Handelsname Kamut, ist ein uralter Verwandter des Hartweizens, punktet aber mit bis zu 40 Prozent mehr Eiweiß, ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen, allem voran Vitamin E und Mineralstoffen wie Magnesium, Selen und Zink. Entstanden ist Khorosan vor etwa 6.000 Jahren durch die spontane Kreuzung von Weizenarten. Der mystische Name verweist auf den Ursprung in der alten persischen Provinz Khorasan.
Und auch das vom Waldviertler Bäckermeister Fritz Potocnik favorisierte, über 7.000 Jahre alte, Waldstaudenkorn, ein Vorfahre des Roggens kann sich sehen lassen. Die bis zu zweieinhalb Meter hohe Pflanze, auch als Urroggen oder Johannesroggen bezeichnet, ist sehr mineralstoff- und ballaststoffreich. Die Körner selbst sind viel kleiner als die des großen, jüngeren Bruders, aber gehaltvoller, süßlicher, fruchtig und vor allem intensiver. Zudem enthalten sie um 50 Prozent mehr Ballastststoffe. Es dauert allerdings zwei Jahre von der Aussaat bis zur Ernte. Weil die Waldstaude aber anspruchslos und frostunempfindlich ist, auf kargen Böden und sogar noch auf 2.000 Metern Höhe wächst, wird sie wieder öfter angebaut. Auch Brote aus diesem Korn sollen selbst Menschen mit einer Glutenunverträglichkeit vertragen. Mögliche Gründe dafür? Gibt es viele. Urgetreide verfügen über natürliche Schutzschilde und benötigen kaum chemische Unterstützung, sagt die Initiative Urgetreide. Sie seien nicht auf schnelles Wachstum oder effiziente Bearbeitung ausgerichtet. Künstlicher Dünger wäre sogar kontraproduktiv, da etwa Urroggen von selbst so hoch wächst, dass die Ähren weit vom Erdboden entfernt sind. Das bewahre die Frucht vor bei Regen aufgewirbelten Pilzsporen. Auch Pflanzenschutzmittel sind kaum notwendig. Und abgesehen davon schütze Spelzgetreide seine Körner mit einer natürlichen Hülle, dem Spelz, vor Umwelteinflüssen und Verunreinigungen.
Und im Übrigen stehe Gentechnik bei den ursprünglichen Formen der heutigen Körner nicht zur Debatte. Wobei man hier der Ehrenrettung halber dazu sagen muss, dass auch beim vergleichsweise “jungen” Tritordeum keine Gentechnik mit im Spiel ist.
Böse Fodmaps statt böses Gluten?
Das alles beantwortet freilich nicht die Frage nach der Verträglichkeit. Liegen da nun die alten oder die neuen Sorten vorn? An der deutschen Universität Hohenheim beschäftigt man sich schon seit langem mit dieser Frage. Und hat sie geklärt, zumindestens was alte und neue Weizensorten betrifft. Offenbar ist es nicht das Klebereiweiß Gluten, das Verdauungs-Probleme hervorruft, sondern die so genannten Fodmaps. Anmerkung am Rande: Das gilt natürlich nicht für die Autoimmunerkrankung Zöliakie. Fodmaps, fermentierte Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole, sind Zuckerverbindungen, die von manchen im Dünndarm nicht ausreichend abgebaut werden können. Daher gelangen sie unverdaut in den Dickdarm und können dort Unverträglichkeiten verursachen. Und jetzt kommt es: Die Gehalte des Getreides verringern sich deutlich, wenn der Teig lange genug ruht. Wenn Sie also das Kamut-Brot aus der kleinen Biobäckerei besser vertragen, könnte das daran liegen, dass dort keine Schnellbackmischungen verwendet werden, wie beispielsweise in der Industrie, und gar nicht an der Getreideart selbst. Wer arbeitet denn mit Urgetreiden? Häufig kleine, traditionell arbeitende Bäckereien. Und was passiert dort? Man gibt dem Brot die Zeit, die es braucht, lässt den Teig gerne 24 Stunden ruhen. „Die in der Regel langsamere Brotbereitung im traditionellen Bäckerhandwerk sorgt dafür, dass die Beschwerden verursachenden Bestandteile im Brot bis zum Backen bereits abgebaut sind“, erklärt Reinhold Carle vom Hohenheimer Lehrstuhl Technologie und Analytik pflanzlicher Lebensmittel. „Großbäckereien dagegen backen ihre Teiglinge meistens bereits nach einer Stunde Gehzeit. Das ist der Zeitpunkt, an dem nach unserer Analyse die meisten Fodmaps im Teig enthalten sind.“ Carle vermutet das natürlich nicht, sondern hat es nachgewiesen: Er und sein Team analysierten aus unterschiedlichen Getreidemehlen bereitete Teige nach einer, zwei, vier und viereinhalb Stunden Gehzeit. Das doch etwas überraschende Ergebnis: Das alte Getreide Einkorn enthält sogar mehr Fodmaps als Brotweizen. In Emmer, Dinkel und Durum sind sie zwar in geringerer Menge vorhanden, aber nicht in dem Maße, dass sich daraus die von vielen Reizdarmpatienten berichtete Linderung erklären lässt. Die höchsten Gehalte an Fodmaps wiesen die Teige bei allen Getreidesorten nach einer Stunde auf, im Urgetreide Emmer und Dinkel zwar weniger als in Brotweizen, aber auch dort deutlich mehr als zu Beginn der Teigbereitung. Nach viereinhalb Stunden waren selbst im Teig aus Brotweizen nur noch 10 Prozent der niedermolekularen Zucker enthalten. In den USA hat man übrigens inzwischen herausgefunden, dass die Fodmaps auch bei der Sauerteigführung abgebaut werden. Wohl noch besser als bei der langen Teigführung bei Weizen, Dinkel und Co. Und die Lehre aus der Geschichte? Offenbar sind in Sachen Verträglichkeit nicht die Getreidearten selbst entscheidend, sondern vor allem die Art der Teigbereitung. Ob alte oder neue Getreidesorten gesünder oder geschmacklich besser sind, das sind freilich noch einmal gänzlich andere Fragen.
https://initiative-urgetreide.de
http://tritordeum.com/?lang=de