“Ich halte es aus, angeschrien zu werden”
Sebastian Bohrn Mena, dem Initiator des Tierschutzvolksbegehrens, schlagen heftige bäuerliche Emotionen entgegen. Wie er sie trotzdem für sich gewinnt.
Er fordert Tierwohl. Aber er hat auch einen existenzsichernden Plan für Bauern auf Lager, weiß über die politischen Lenkungsmöglichkeiten Bescheid, über die Macht des Konsumenten und die Auswirkungen von Tierwohl auf’s Geldbörsel. Über all das haben wir mit Sebastian Bohrn Mena gesprochen.
Bauernladen.at: Herr Bohrn Mena, warum sind Nutztiere heute scheinbar so „wertlos“?
Sebastian Bohrn Mena: Den Menschen ist der Bezug zu den Nutztieren verloren gegangen. Ich bin jetzt 34. Meine Großmutter kommt väterlicherseits von einem Bauernhof. Und trotzdem habe ich nie einen Landbezug gehabt. In der Regel kommt man zweimal mit Nutztieren in Berührung. Das erste Mal in der Fernsehwerbung, in der Schweinderln sprechen und mit dem Bauern philosophieren. Das zweite Mal in abgepackter Form im Supermarkt. Du erfährst nichts darüber, wie schwierig das Leben für die Landwirte ist, darüber, wie die realen Produktionsbedingungen sind, vor allem im System Massentierhaltung. Daher kannst du den gesamten Produktionsprozess nicht einschätzen – von der Entstehung der Futtermittel und dem Anbau bis hin zu Fragen des Tiertransports. Und niemand weiß, wie’s unseren Bäuerinnen und Bauern eigentlich geht. Das Einzige, was du mitbekommst ist, dass sie viele EU-Fördergelder bekommen und die Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Umwelt und das Klima desaströs sind. Über die genauen Zusammenhänge und vor allem unsere Einflussmöglichkeiten, hört man kaum etwas. Und das ist die Wurzel des Problems.
Bauernladen.at: Tatsächlich fließt der Großteil der heimischen EU-Fördergelder ja in die Landwirtschaft. Gleichzeitig wird im bäuerlichen Umfeld das Image kultiviert, kaum überleben zu können. Wo liegt die Wahrheit? Sind unsere Bauern wirklich so arm?
Bohrn Mena: Da braucht es eine differenzierte Betrachtung. 80 Prozent der EU-Fördergelder fließt zu den 20 größten landwirtschaftlichen Betrieben. Die Konzentrationsbewegungen nehmen zu. Jeden Tag sperren fünf bis sechs Betriebe zu, die Einheiten der anderen werden immer größer. Die Viehbestände nehmen nicht ab, es werden einfach immer mehr Tiere pro Betrieb. Wer am Weltmarkt mithalten oder auch nur die Anforderungen des Handels erfüllen will, muss hochtechnologisch arbeiten. Die Geräte, die es dazu braucht, sind investitionsintensiv. Das können sich nur die leisten, die eine gewisse Größe haben. Die Bauern stehen unter einem unglaublichen Wettbewerbs- und Profitdruck. Die kleinteilige natürlich biologische Landwirtschaft, wie sie vor 50 oder 100 Jahren gelebt wurde, ist heute einfach nicht mehr rentabel. Viele Bauern sind ja zu Recht ,angefressen‘ auf die Politik und sagen, ihr habt uns überhaupt erst in diese Abhängigkeit von Fördergeldern gedrängt und jetzt haltet ihr quasi das Versprechen nicht mehr ein, dass die EU für uns ein Absatzmarkt ist und kein Konkurrenzmarkt.
Bauernladen.at: Wie reagieren die Bauern auf Sie und das Tierschutzvolksbegehren?
Bohrn-Mena: Die meisten sind extrem geladen. Ihre Kritik betrifft aber nicht das Volksbegehren an sich, sie ist eher unspezifisch, frei nach dem Motto „Was wollt ihr eigentlich noch alles von uns? Wie soll man überhaupt noch überleben können, wenn wir jetzt noch mehr Umbauten finanzieren sollen, wenn wir noch mehr Anforderungen entsprechen sollen?“ Diese Emotionen sind der Verzweiflung geschuldet. Man muss ihnen Raum geben. Ein Beispiel stellvertretend für meine Erfahrungen: Ich war in Rutzenmoos in Oberösterreich von elf Bäuerinnen eingeladen, die ein Milchkollektiv betreiben. Die haben vom Tierschutzvolksbegehren gehört und gesagt, den holen wir uns her. Im Gasthaus zur Pepi Tant haben sie dann eine halbe Stunde nur rumgeschimpft. Was ich mir überhaupt einbilde, ein Volksbegehren zu machen und ihnen noch mehr Vorschriften zu machen. Wie ich überhaupt auf die Idee komme. Der entscheidende Punkt ist dann, dass ich ihnen sage, ihr habt vollkommen recht. Ich sehe das absolut genauso wie ihr. Trotzdem verlange ich von Euch, dass die betäubungslose Ferkelkastration und das Töten von männlichen Küken aufhören. Ihr müsst Euch weiterentwickeln, aber – und das ist der entscheidende Punkt – nicht ohne dass wir euch eine existenzsichernde Perspektive ermöglichen. Wir fordern dabei auch nicht zuerst die Umstellung, sichern dann die Finanzierung und hängen Euch damit wieder an den EU Fördertropf. Dem trauen die Bauern nämlich nicht mehr. Mir hat eine Bäuerin in Thalgau vor 50 Leuten gesagt, ich will von der Scheiß-EU keinen einzigen Cent mehr haben, ich will einfach einen fairen Preis für meine Arbeit bezahlt kriegen.
Bauernladen.at: Wie soll diese existenzsichernde Perspektive genau ausschauen?
Bohrn Mena: Es gibt drei relevante Säulen der Entlastung. Erstens die Lebensmittelkennzeichnungspflicht in der Gastronomie und öffentlichen Küchen, damit die Menschen tatsächlich ein österreichisches Hendl essen und nicht ukrainisches Qualhendl; zweitens die Umstellung der Fördermittel auf tier- und umweltgerechte Produktion, damit die kleinbäuerlichen und die Biobetriebe die Förderungen erhalten und nicht die Großbauern; und drittens, den wahrscheinlich wichtigsten Hebel, die öffentliche Beschaffung. Jeder Kindergarten, jedes Altenheim, jedes Pflegezentrum, jede Schule, das Bundesheer usw. soll in Zukunft ausschließlich heimische, tier- und umweltgerecht erzeugte Produkte einkaufen. Momentan werden zwei Millionen Menschen täglich in öffentlichen Küchen verköstigt, zwei Drittel aller tierischen Produkte in Restaurants oder öffentlichen Küchen konsumiert. Dort erfahren die Menschen nicht, wo’s herkommt, können sich also auch nicht für das österreichische Produkt entscheiden. Und viel zu oft werden mit unserem Steuergeld Produkte aus Produktionsformen gekauft, wie sie in Österreich bereits verboten sind.
Bauernladen.at: Was sagen die Bauern zu diesem Konzept?
Bohrn Mena: Ab dem Zeitpunkt, wo ich ihnen erkläre, dass unsere Forderungen an sie und diese Entlastung bindend aneinander geknüpft ist, dreht sich die Gesprächsdynamik komplett. Dann sagen sie, das ist grundvernünftig und unter den Bedingungen sind wir sofort dabei. Kein Bauer möchte das Kalb ins Ausland verkaufen, keiner das Ferkel betäubungslos kastrieren, niemand findet es ,leiwand‘, dass Küken getötet werden. Bauern sind ja keine Unmenschen. Aber was sollen sie denn anderes tun? Es braucht Zeit und den persönlichen Dialog. Du musst es aushalten, angeschrien zu werden, mit allen möglichen Vorwürfen konfrontiert zu werden. Die angesprochene Begegnung in Rutzenmoos war prägend für mich. Nach drei Stunden hatte ich das Gefühl, diese elf Bäuerinnen stehen voll hinter dem Tierschutzvolksbegehren, weil sie verstanden haben, dass wir nicht gegen sie sind. Dass wir anerkennen, was für eine Arbeit sie leisten, und dass wir keine unrealistischen Forderungen an sie stellen. Ab da waren wir Verbündete.
Bauernladen.at: Kommen wir von den Bauern zu den Konsumenten. Wie sollen sie die richtige Entscheidung für ein Produkt treffen, das Tierwohl-Kriterien entspricht, in diesem schier undurchschaubaren Dschungel an Waren?
Bohrn Mena: Eine bewusste Entscheidung und Verantwortungsübernahme kannst du vom Menschen nur verlangen, wenn du volle Transparenz und Information gibst – deswegen fordern wir auch eine Kennzeichnungspflicht. Wir werden aber auch um ein staatliches Tierwohlgütesiegel nicht herumkommen. Man könnte darüber nachdenken, wie man z.B. das AMA Gütesiegel, eine gelernte Marke, der die Menschen vertrauen, in diese Richtung weiter entwickeln kann. Und zwar so, dass auf einen Blick verbindlich ersichtlich ist, was im Produkt steckt.
Bauernladen.at: Ist Bio vielleicht die Lösung im Hinblick auf das Tierwohl?
Bohrn Mena: Bio ist ein erster guter Schritt und erfüllt einige unserer Forderungen, Ferkel werden unter Betäubung kastriert, Küken werden nicht geschreddert, es werden gentechnikfreie Futtermittel gefüttert. Bio ist auch deutlich klima- und umweltfreundlicher und ein aktiver Beitrag gegen das Artensterben, weil keine chemischen Pestizide eingesetzt werden. Aber ich habe mir auch andere Ansätze angesehen, etwa das Projekt „Hofkultur“ des oberösterreichischen Fleischers Hütthaler, das auf einem Kriterienkatalog zwischen konventionell und Bio basiert. Mit dem Unterschied, dass darin auch der Transport ein Thema ist. Die Zulieferbetriebe liegen alle im Umfeld von 50 Kilometern und es wird stressfrei geschlachtet. Gerade beim Tierwohl gibt es kein Schwarz oder Weiß. Deshalb haben wir auch keine endgültige Definition im Tierschutzvolksbegehren vorgenommen.
Bauernladen.at: Wie wirkt sich Tierwohl denn auf’s Geldbörsel aus?
Bohrn Mena: Dazu gibt es bereits gute Zahlen. Hofkultur kostet 25 Prozent mehr als konventionelle Ware, Bio kostet 100 Prozent mehr und Labonca (Anm. Höchststandard in Österreich, Norbert Hackls Schweine leben auf einer 250.000 m² großen Weide) kostet 300 Prozent mehr – immer auf das Kilo gerechnet. Das klingt erst einmal viel, aber in der Gastronomie oder im Hotel sind das 10, oder 20 oder 30 Cent mehr auf das Schnitzel oder den Backhendlsalat gerechnet. Man muss sich ja immer fragen, wie viel Mehrkosten tatsächlich entstehen. Wie viel Gramm Fleisch ist in einem steirischen Backhendlsalat? 200 Gramm? Wenn der 6,80 statt 6,50 kostet, werden die Menschen bereit sein, das zu zahlen, wenn sie sicher sein können, dass das Hendl aus Österreich stammt und nicht gequält wurde.
Bauernladen.at: In der Gastronomie kann das gut funktionieren. Aber ein Supermarkteinkäufer wird keine 300 Prozent mehr für sein Fleisch zahlen wollen, vermutlich nicht einmal 100 Prozent.
Bohrn Mena: Der Handel schlägt ja bei einigen Produkten mehrere 100 Prozent auf, andere subventioniert er – Stichwort Lockangebote und Rabatte etc. Beim Fleisch zeigt sich das ganz klar. Grundsätzlich sind ja Bioprodukte nicht zu teuer, sondern die konventionellen zu billig. Und warum kann man so billig produzieren? Weil der Staat versagt. Er trägt am Ende die Verantwortung dafür, was ein Produkt kostet. Schauen wir uns an, wie hoch der Steueranteil bei Zigaretten oder Benzin ist. Oder nehmen wir das Beispiel Fliegen vs. Bahn fahren. Der Staat hat lenkungspolitische Maßnahmen zur Verfügung, die er einsetzt oder auch nicht.
Bauernladen.at: Was könnte die Politik konkret tun?
Bohrn Mena: Sie könnte sich dafür entscheiden, dass die Prozesse und die Produkte, die für Mensch, Tier und Umwelt am schädlichsten sind, keine Förderungen mehr erhalten, höher besteuert werden und in der Beschaffung bestraft werden. Und umgekehrt Bio gefördert wird. Dann würde sofort eine Umstellung in der Landwirtschaft passieren. Die konventionellen Produkte würden teurer werden, die anderen billiger. Es braucht auch deshalb ein Volksbegehren, damit Druck auf die Politik ausgeübt wird, damit endlich einmal klar wird, wie viel Steuergeld in das System Massentierhaltung fließt. Und welche Möglichkeiten der Einflussnahme der Staat hat, aber momentan nicht nutzt, um Bauern, die tier- und umweltgerecht produzieren, zu unterstützen und damit auch einen Beitrag zu Umweltschutz, Tierschutz, Klima- und Artenschutz zu leisten.
Lesen Sie nächste Woche Teil II des Interviews mit Sebastian Bohrn Mena. Es geht dann um Abstumpfung, einen Paradigmenwechsel, die Weideschlachtung, Blockierer und noch einmal die Politik.