“Die Tage wie das Jahr”
Filmemacher Othmar Schmiderer hat ein Waldviertler Milchbauern-Ehepaar in ihrer Arbeit begleitet, hinterlässt mit dem Film aber einige Fragen.
Ein Lämmchen wird geboren. Blut, Schleim und noch mehr Blut. So ist das eben. Der Waldviertler Bauer Gottfried Neuwirth sagt: “I bin a Hirte. Ich behüte mein Land. Des is mei Berufsbezeichnung.” Damit ist offenbar alles gesagt. Der Rest ist Arbeit. Unendlich viel Arbeit. Wer Biobauer ist, der hat, wie es aussieht, ein relativ freudloses Dasein. Jedenfalls fängt die Kamera von Filmemacher Othmar Schmiderer in 86 Minuten kein Lächeln des Bauernehepaars Gottfried und Elfie ein, das er über ein Jahr mit der Kamera begleitet hat. Statt dessen liefert er im daraus entstandenen Dokumentarfilm “Die Tage wie das Jahr” Bilder von hartem, bäuerlichem Tun in gefühlter Endlosschleife. Der Waldviertler an sich spricht ja wenig, dafür aber Klartext. Jedenfalls unterstellt man ihm das gern. Dem ist der Filmemacher gerecht geworden. Doch nicht nur die Protagonisten reden bei ihm wenig. Es gibt auch keinen Kommentar, keine Erklärung, keine Erzählerstimme. “Meiner Ansicht nach gibt es derzeit zu viele Filme, die einem die Welt erklären”, erklärt Schmiderer. Er wolle die Gelegenheit nutzen, über das Sehen und das Sich-Einlassen eine andere Wahrnehmung herzustellen und auch ein anderes Rezipieren ermöglichen. Doch, was sehe ich als Waldviertlerin, die auf einem Bauernhof groß geworden ist? Da ist einmal das Ehepaar Neuwirth, das ohne viel zu reden ein kleinteiliges Biogehöft mit Ziegen und Schafen bewirtschaftet. Es hat sich bewusst für diese Wirtschaftsweise entschieden. Ihre Tiere betrachten die Milchbauern als Lebewesen und den Boden als eigenen Kosmos. Soweit, so schön eigentlich. Doch dann ist da noch etwas anderes. Es passiert nichts Spannendes. Was fast absurd anmutet, denn eigentlich erlebt man durchaus was auf einem Bauernhof. Und ganz humorbefreit ist man auch im hohen Norden des Landes nicht, selbst wenn man so einen Knochenjob wie die beiden Protagonisten ausübt.
“Es ging uns im Film nicht um Biographisches oder speziell die Bio-Landwirtschaft”, sagt der Filmemacher, “sondern um den Mikrokosmos dieser speziellen Arbeit.” Das Erleben darzustellen, war demnach nicht im Sinne der Erfinder – an der Seite Schmiderers arbeitete Angela Summereder. Stattdessen setzte man darauf, dem bäuerlichen Arbeitsprozess sehr stark mit seriellen Sequenzen und dem Wiederholungsprinzip gerecht zu werden. “Formal filmisch hat mich dieses Prinzip fasziniert: Es muss täglich gemolken, alle zwei Tage gekäst werden usw. Alle Handgriffe sind Teil von sich wiederholenden Tätigkeiten. Wer stellt sich heute noch die Frage, was es bedeutet, Milchprodukte in dieser Qualität herzustellen?” Eine gute Frage. Deshalb hält er auch sehr oft die Kamera drauf, wenn das Ehepaar die Ziegen und Schafe melkt. Wirklich oft. Wir sehen, wie sie geschoren werden, Käse gemacht wird, Bienenvölker ausbüxen und penibel Dokumentationen geführt werden. Und wie die Tiere schließlich auf den Schlachthof transportiert werden. Halt, da fällt wieder ein Satz: “Die Wurst ist am Dienstag fertig.” Einzig die wechselnden Jahreszeiten geben dem Ganzen eine Art Struktur.
Wir sehen aber nicht nur, wir lernen auch. Etwa, dass auch, wer lange im Dorf belächelt wird, am Ende derjenige sein kann, der unabhängig von Bankkrediten sehr gut und einträglich leben kann. Dass eine kleinteilige Landwirtschaft, wenn sie clever gemacht ist, definitiv individuell und global eine Alternative sein kann. Dass im Bauernleben auch Frauen schwere Arbeit verrichten und einen guten Gleichgewichtssinn haben. Elfie lädt schwere Holzblöcke auf einen Traktor und steht beim Streichen der Hausmauer auf einer wackeligen Leiter. All das bleibt unkommentiert, versteht sich. “Mir waren unkommentierte Bilder so wichtig, damit sie wirken können und man sich fragen kann, wie man selber mit dem Thema umgeht”, sagt Schmiderer. Das kann man mögen. Muss man aber nicht. Sehen und beurteilen Sie am besten selbst – beispielsweise im Stadkino Horn, im Votivkino Wien und im Schubertkino Graz.
Die Protagonisten Gottfried Neuwirth, 1986 österr. Meister im Marathonlauf und Elektromeister, hat aus seinem damaligen Leben eine Konsequenz gezogen und den Wunsch nach einem unabhängigen Leben in die Tat umgesetzt. Er hat ein altes, verfallenes Bauernhaus gekauft und renoviert, sich tiefgreifend mit der Materie des Landwirtschaftens auseinandergesetzt und gemeinsam mit seiner Frau Elfriede über 30 Jahre hinweg diese Art von Landwirtschaft aufgebaut.
Der Filmemacher Die Tage wie das Jahr knüpft an frühere Arbeiten Othmar Schmiderers an. Zum einen an Am Stein (1998), in dem es um den Komplex Almwirtschaft und Vermarktung der Alpen geht. Zum anderen an Im Augenblick – Die Historie und das Offene (2013), einer Arbeit mit Angela Summereder, die das Verhältnis Mensch und Tier auslotet.