Das Kuhattacken-Urteil polarisiert
2014 starb eine Touristin auf einem Weg nahe der Pinnisalm bei einer Kuhattacke. Der Herdenhalter soll jetzt rund 180.000 Euro und eine monatliche Rente zahlen.
Fünf Jahre hat es gedauert. Aber jetzt haben die heimischen Almwiesen “die Unschuld verloren”, “zittern 2.000 Bauern nach Hammer-Urteil”, und “blüht das Ende des Almsommers”. Das prophezeien jedenfalls die erhitzen Gemüter in ihren Reaktionen auf das jetzt gefallene Urteil in der Causa des tödlich verlaufenen Angriffs einer Mutterkuhherde auf eine deutsche Urlauberin. Die Wanderin war 2014 auf einem öffentlichen Weg nahe der Tiroler Pinnisalm mit ihrem angeleinten Hund unterwegs und traf auf die Kühe, die zuvor bereits mit anderen Wanderern samt deren zwei Hunden konfrontiert gewesen waren und sich aggressiv verhielten. Laut Obduktionsbericht trampelten die Kühe die Frau zu Tode. Worauf die Hinterbliebenen den Bauern klagten, dem die Herde gehört. Das Landesgericht Innsbruck sah die Sache wie sie. Die Herde sei nicht ordentlich verwahrt gewesen. Im Detail wäre eine Sicherung der Tiere vor allem aufgrund des frequentierten Weges nahe der Alm nötig gewesen. Durch das gänzliche Fehlen einer Abzäunung sei zumindest eine Fahrlässigkeit verwirklicht worden. Hinweisschilder alleine hätte da nicht gereicht. Dem Ehemann der Verunglückten wurden im zivilrechtlichen Urteil in erster Instanz vorab 130.000 Euro plus 1.200 Euro monatliche Rente und dem Sohn 47.000 Euro plus 350 Euro Rente zugesprochen.
Hundeverbot auf Almen?
In der Nacht nach dem Urteil ist bei ihm das Telefon nicht stillgestanden: Josef Hechenberger, Präsident der Landwirtschaftskammer Tirol. “Das Urteil ruft unter den Landwirten extreme Ängste und Verunsicherung hervor”, sagt er. “Die Bauern fragen mich, ob sie die Kühe noch auf die Alm treiben sollen, oder ob sie die Almen komplett sperren sollen”. Was bei den gesamt 11.000 heimischen Almen – und allein 2.000 im Bundesland Tirol, auf denen jeden Sommer 180.000 Kühe weiden, ein nicht ganz unerheblicher Aufwand sein dürfte. Seine Antwort? Man empfehle, genau zu prüfen, ob das Wandern auf den Weiden möglich sein soll. Im Zweifel müsse man auch darüber nachdenken, Almen zu sperren oder Kühe im Stall zu lassen. Diese Empfehlung fällt offenbar bereits auf fruchtbaren Boden. Denn sowohl ein Bauer aus dem Tiroler Alpbachtal wie auch zwei Almbauern aus der Pyhrn-Priel-Region in Oberösterreich wollen genau das umsetzen. Ersterer erklärte in einer E-Mail an den Tourismusverband, dass er sich gezwungen sehe, mehrere Wanderwege rund um seine Alm zu sperren und Schilder mit einem Betretungsverbot aufzustellen, zweitere wollen das Durchqueren ihrer Almen künftig nur noch dann erlauben, wenn eindeutig geklärt ist, wer letztlich die Verantwortung trägt, wenn es zu Unfällen mit dem Weidevieh kommt. Ob eine Sperrung allerdings überhaupt möglich ist, das ist noch nicht geklärt. Wenn es sich um öffentliche Wege handelt, dürfte das schwierig werden. Für Hechenberger gibt es aber ohnehin noch eine Option: Weil bisher immer Hunde in solche Vorfälle verwickelt wurden, könnten Almen künftig zu hundefreien Zonen werden. In dieselbe Kerbe schlägt auch Bauernbund-Präsident Georg Strasser: “Dass Hunde auf Weiden ein Problem sind, wird seit Jahren propagiert. Es braucht klare Spielregeln, die ein Miteinander auf den Almen gewährleisten.”
Wo bleibt die Eigenverantwortung?
Wirtschaftsbündler Franz Hörl sprach von einem “Urteil mit fatalen Konsequenzen weit über die gesamte alpine Landwirtschaft hinaus”. Mit der Begründung, dass aufgrund eines ausgewiesenen Wanderweges eine Umzäunung notwendig gewesen wäre, werde die landwirtschaftliche Nutzung der Freizeitnutzung untergeordnet. “Damit klammert das Gericht nicht nur den Wert der Bewirtschaftung der Almen, sondern auch die Anforderungen an die menschliche Eigenverantwortung aus.” Schließlich sei mit Hinweisschildern auf wichtige Verhaltensregeln hingewiesen worden. Tatsächlich hatten das die Obersten Richter 2015 in einem ähnlichen Fall auch so gesehen und eine Schadenersatzklage einer ebenfalls von Kühen attackierten Frau abgewiesen, weil die angebrachten Hinweisschilder laut OGH ausreichend waren. Michael Hirm, Vertreter des Klägers, bringt allerdings ein, dass es sich bei dem damaligen Urteil um ein privates, abgezäuntes Weidegebiet gehandelt habe, im Tiroler Fall sei der Unfall auf einer öffentlichen Straße passiert. Das Landesgericht Innsbruck argumentierte, dass der Weg, auf dem die tödliche Attacke passierte, der am stärksten benutzte Weg aus dem Tal sei und sich in unmittelbarer Nähe eine Gastwirtschaft mit Platz für mehr als 200 Gäste befindet. Aus diesem Grund reiche ein bloßer Gefahrenhinweis nicht. Der zugehörige O-Ton: “An einem neuralgischen Punkt wie dem Unfallort sind Abzäunungen zum Schutz des höchsten Gutes, des menschlichen Lebens, notwendig und aufgrund des geringen Aufwandes auch zumutbar.”
Wie geht es weiter?
Im nächsten Step lädt man in dieser Woche zu einem runden Tisch, an dem erörtert wird, wie in der kommenden Saison vorzugehen ist. Man will alle Interessensvertreter an einen Tisch bringen, um möglichst alle offenen Fragen zu klären. Die Landwirtschaftskammer Steiermark verlangt derweil aber auch noch Rechtssicherheit für die Bauern und eine praktikable, von der öffentlichen Hand finanzierte Versicherungslösung. In wie weit und ob die Versicherung überhaupt die Kosten des jetzt zu Schadenersatz verurteilten Bauern übernehmen wird, könne übrigens derzeit noch nicht gesagt werden. Kläger-Vertreter Hirm versteht die ganze Aufregung nicht: Wenn man das Urteil aufmerksam lese, dann merke man, dass es keinesfalls den Untergang der Almwirtschaft bedeute. “Das Urteil beschränkt sich rein auf den Unfallort und auf dieses eine Jahr, in dem die Kühe besonders aggressiv waren. Es bezieht sich auf einen Einzelfall und es steht nirgends, dass man Tiere auf der Alm generell wegsperren muss”, erläuterte er. Und auch für Florian Klenk, nicht nur Falter-Chefredakteur sondern auch Jurist, ist die Sache klar: “Wenn ein Nutztier eines Unternehmers (=Bauer) einen Menschen auf öffentlichem Grund tötet, weil es frei rumrennen darf, dann soll die Haftpflichtversicherung des Unternehmers den Schaden – Rente an Kinder, Trauerschmerzensgeld – begleichen und nicht die Hinterbliebenen.” Von daher lautet auch sein persönliches Urteil: “Ich verstehe die Aufregung um das Kuh-Urteil nicht.”
Richtiges Verhalten bei Wanderungen im Almgebiet
- Machen Sie um Mutterkuhherden immer ein großer Bogen. Sie könnten ihre mitunter neugierigen Kälber verteidigen.
- Auch wenn sie noch so sanftmütig wirken: Kühe oder Kälber sollte man nie streicheln oder füttern!
- Wer mit einem Hund unterwegs ist, der sollte einen noch größeren Bogen um eine Herde mit Jungtieren machen, einen Sicherheitsabstand einhalten und zur Sicherheit immer einen Stock in der Hand haben.
- Der Hund sollte ruhig zu Fuß neben Ihnen gehen. Wenn er dieses Kommando nicht zu 100 Prozent beherrscht oder befolgt, müssen Sie ihn anleinen, und zwar so, dass Sie die Leine jederzeit sofort loslassen können.
- Hektik oder Lärm sollten Sie während der ganzen Wanderung vermeiden.
- Wenn Kühe Drohgebärden zeigen, so können Sie sich mit dem Stock schützen und die Tiere noch vor einem Angriff zurücktreiben, auch mit lautem Zuruf, aber nie hektisch.
- Wenn ein Rind angreift, laufen Sie nicht weg oder drehen ihm den Rücken zu. Falls Sie mit Hund unterwegs sind, ist das der Moment, ihn sofort von der Leine zu lassen. Hunde sind im Ernstfall schnell genug, um den Gefahrenbereich zu verlassen und dabei die Rinder vom Hundehalter abzulenken.
Hier finden Sie das Urteil im Fall der Kuh-Attacke im Wortlaut:
https://files.orf.at/vietnam2/files/tir/201908/kuh_-attacke_pinnistal_651572.pdf