Angesichts drohender Katastrophen hat die Menschheit ihr globales pflanzliches Erbe im norwegischen Spitzbergen eingefroren. Auch das österreichische.

Ein grauer Betonbau als mystische Rückversicherung der Welternährung. ©Svalbard Global Seed Vault

Wussten Sie, dass es einen “Tresor des jüngsten Gerichts” gibt? Dahinter versteckt sich eine globale Samenbank in Spitzbergen, die 4,5 Millionen Samenmuster aus der ganzen Welt für die nächsten 1.000 Jahre beherbergen kann. Man könnte sie auch als Backup für die Welternährung bezeichnen, aber das würde sich nicht so spektakulär anhören. Spitzbergen liegt in etwa dort, wo die Welt vermutlich aufhört: Rund 800 km vom Nordpol entfernt, leben auf der Hauptinsel Longyearbyen – 660 Kilometer nördlich des Festlands – nur gut 2.000 Menschen. Seite an Seite mit 3.000 Eisbären übrigens. Und das prädestiniert Spitzbergen neben frostigen Temperaturen von im Schnitt minus 20 Grad im Winter und 2,8 Grad Plus im August quasi als Ort für eine globale Rückversicherung des Artenschutzes. Das sagt Cary Fowler vom Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt. Und genau deshalb wurde dort auch eine weltumspannende Pflanzen-Samenbank eingerichtet: Die “Svalbard Global Seed Vault”.

Kontinuierlich minus 18 Grad

Seit über zehn Jahren steht auf dem Permafrostboden ein zugegeben wenig paradiesischer grauer Neubau, der in letzter Konsequenz aber zu einer Art gobaler Arche Noah mutiert ist. Die erwähnten 4,5 Millionen Samenmuster aus aller Welt, die er fassen kann, das sind doppelt so viele Sorten, wie wir heute kennen. Gelagert werden sie – von Klimawandel & Co. unberührt – in Stollen, die 120 Meter tief in die Erde reichen.

So sieht es aus, wenn zweimal im Jahr eine neue Lieferung in der arktischen Arche ankommt. ©Svalbard Global Seed Vault

Man hat sich durch meterdicke Frostschichten gebohrt. Im Inneren sorgen Kühlanlagen für kontinuierliche minus 18 Grad. Metallregale beherbergen in drei 10 x 27 Meter-Betonschächten kleine Alubehälter, die dort die nächsten 1.000 Jahre liegen werden. 70.000 Proben von Nutzpflanzen wie Reis, Weizen, Mais, Bohnen und Hirse sind dort mittlerweile gelagert, 1.059.646  Samenmuster finden sich heute schon in den eisgekühlten Regalen. Österreichische sind auch darunter. Im Moment sind es 1.457 Muster mit je zwischen 1.500 und 2.500 Samen, sagt Paul Freudenthaler, Leiter der Ages-Genbank in Linz.

50 Jahre übersteht ein heimisches Getreidekorn locker

Warum braucht es so viele Samen in einem Muster? Damit das gesamte Genpotenzial abgebildet ist, sagt Freudenthaler. Das ist bei neu gezüchteten Sorten leichter, die sind genetisch homogener, alte Sorten sind genetischer vielfältiger: “Je mehr Samen ich habe, umso mehr habe ich den ganzen Pool drin”, so der Ages-Experte. Und warum braucht ein Land wie Österreich überhaupt ein Sicherheitslager? Ganz einfach, die heimische Genbank in Linz könnte zerstört werden, etwa durch ein Erdbeben, durch Überflutung oder durch ein Feuer. Für einen solchen Fall braucht es ein Backup. Ein solches gab es freilich auch schon vor Spitzbergen. Man kooperierte mit anderen Ländern. So lagerten etwa Holländer Weizensamen bei uns ein und umgekehrt. Aber wie gut funktionieren die eingelagerten Samen, sagen wir nach 50 Jahren noch. Freudenthaler hat erst kürzlich die Probe auf’s Exempel mit Weizenkörnern aus 1975 gemacht. Das Ergebnis: “Alle Keimfähigkeiten waren erhalten geblieben.” Nicht ganz so lange halten eiweiß- oder ölhaltige Früchte. Bei Bohnen sind es etwa 15 bis 20 Jahre, schätzt man. Und dann gibt es noch die so genannten widerspenstigen Samen, die gar nicht getrocknet werden dürfen, wie etwa Kastanien. Hopfen, Knoblauch oder Wein vermehrt man vegetativ, dh. über Stecklinge oder Gewebekultur. Obstbäume auch. Die trachtet man in Österreich in der Natur an verschiedenen Standorten zu erhalten.

Man war schon selbst Opfer des Klimawandels

In Spitzbergen werden nur so genannte orthodoxe Samen gelagert. Das sind solche, die man trocknen kann. Aber was ist, wenn dort mal technisch etwas schief geht? “Selbst dann hätten wir hier nie mehr als minus fünf Grad”, sagt Forscher Magnus Treiden zur Tiefe. Erdbebensicher ist das Areal sowieso und es soll auch einem direkten Atomschlag standhalten. Alles nicht unwichtig: Schließlich wurden irakische und afghanische Saatgutbanken im Krieg zerstört, eine auf den Philippinen durch einen Taifun. Der Eingang befindet sich übrigens in 130 Metern Höhe – aus Sicherheitsgründen, falls der Meeresspiegel steigen sollte. Und tatsächlich wurde der Saatgut-Tresor bereits selbst Opfer der Klimaerwärmung. 2016 begann der Permafrostboden unter dem Lager zu schmelzen: Am Eingang des in einen Berg getriebenen Tunnels mit den frostigen Lagerhallen trat Wasser aus. Doch kein einziger Samen nahm Schaden.

175 Länder schickten Samen, auch Österreich

Formeller Eigentümer der Samenbank ist Norwegen. Rund neun Mio. USD (sechs Mio. Euro) investierte man. Doch die Samenbank ist ein internationales Projekt: Betreiber ist nämlich der erwähnte Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt. Und der wurde von der Welternährungsorganisation (FAO) und einer römischen Forschungseinrichtung gegründet. 175 Länder haben ihre Samenproben nach Spitzbergen geschickt. Ein großes Thema hinter der globalen Samenbank ist der Schutz von Nutzpflanzen wie Reis oder Weizen, Gerste oder Erbse vor genetischer Verunreinigung. Die Vermischung mit gentechnisch manipulierten Pflanzensorten stellt auch nach einem Bericht der Konsultativgruppe für internationale Agrarforschung (CGIAR) eine große Bedrohung dar. Genannt werden vor allem Mais, Raps, Reis und Baumwolle. Ein Herausforderung ist das allemal: Experten bestätigen z.B., dass es von den 21 Getreidesorten weltweit rund 165.000 Varianten gibt. Spitzbergen ist das Sicherheitslager für die weltweit 1.400 Samenbanken.

Wem die Stunde schlägt

Jedes Land hat ein eigenes Fach und kann, so die Norweger, die Samen auch zurückfordern. Der Biologe Per Björnstad meint aber: “Das Beste wäre, wenn die Länder nichts abheben müssten. Wichtig ist, dass wir hier die ganze biologische Vielfalt haben, wenn einmal Krisen kommen oder ein Krieg, dann kann man hier die benötigten Samen finden.” Projektleiterin Gret Eiven stimmt zu: “Die Stunde der globalen Samenkammer schlägt, wenn Naturkatastrophen die Artenvielfalt bedrohen. Denn hier werden in erster Linie Samen gelagert, die für Lebensmittel und Landwirtschaft wichtig sind. Essbare Pflanzen also. Schon gleich zu Beginn fanden sich etwa 10.000 verschiedene Reissorten.” Katastrophal muss es aber gar nicht kommen: Immer mehr Nutzpflanzen verschwinden im Monokultur-Zeitalter aus ganz banalen Gründen: Etwa, weil der Anbau-Aufwand zu groß, der finanzielle Ertrag zu gering ist. 70.000 Reissorten sind in Asien in den letzten Jahren so verloren gegangen. Von den vor 80 Jahren in Mexiko angebauten Maissorten gibt es nur noch 20 Prozent. Hilfe? Hat man auch schon einmal geleistet. Das Internationale Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Trockengebieten (Icarda) forderte wegen der Zerstörung seiner örtlichen Saatgut-Sammlung im syrischen Aleppo im Jahr 2015 Samen aus dem Lager an. Im österreichischen Regal wird es bald Zuwachs geben. Denn 1.000 Muster, die erst dupliziert werden mussten, befinden sich noch in der Warteschlange. Jederzeit hinschicken, das geht nämlich nicht. Denn das Sicherheitslager – für Freudenthaler ist Spitzbergen keine Genbank im eigentlichen Sinn, öffnet nur zwei Mal pro Jahr. Und der Transport kostet auch ein bisserl was: Zwischen 4.000 und 5.000 Euro. Dafür lagern die Samen dann gratis im Tresor des jüngsten Gerichts.

http://www.genbank.at

https://www.seedvault.no/