Es ist still geworden um die EU Richtlinie zu den unfairen Handelspraktiken. Wir sind dran geblieben und haben von Foodwatch Geschäftsführer Martin Rücker erhellende Details zu den umstrittenen Abänderungsanträgen erfahren.

Martin Rücker

Martin Rücker ist seit April 2017 Geschäftsführer von foodwatch Deutschland ©foodwatch/Darek Gontarski

Sie erinnern sich: Im Zuge der Debatte um die EU-Richtlinie zu den unfairen Handelspraktiken kam Albert Deß, CSU-Politiker und Agrarsprecher der europäischen Volkspartei (EVP), mit dem Abänderungsantrag 361 – den er  zusammen mit Peter Jahr, Norbert Lins und Jens Gieseke eingereicht hatte, ins Kreuzfeuer der Kritik. Dem zufolge sollen Handelskonzerne keine Tierschutz- und Umweltschutzauflagen mehr bestimmen können, die strenger als die gesetzlich vorgeschriebenen sind. Foodwatch Geschäftsführer Martin Rücker kennt den Antrag und beantwortet die Frage, wie es eigentlich dazu kam, so: “Argumentativ ging es tatsächlich um die Frage des lauteren Wettbewerbs.” Der Handel, sagt Rücker, habe aufgrund der hoch konzentrierten Struktur eine gewaltige Marktmacht. Die nutze er zunehmend, um Standards zu diktieren. Das könne durchaus im Interesse des Verbraucher-, Tier- oder Umweltschutzes sein, wenn er über seine Lieferantenverträge höhere Standards als die gesetzlich vorgegebenen durchsetze. “Bauern oder auch Molkereien sehen das nicht so gern, weil der Handel dabei ohne große Rücksichten das vorgibt, was ihm opportun erscheint – und die Lieferanten haben sich, mitunter kurzfristig, danach zu richten, zum Teil müssen sie für verschiedene Händler verschiedene Spezifikationen befolgen.” Die Interessen von Erzeugern gegenüber dem Handel zu stärken, darum gehe es bei dem, wie Rücker sagt, “womöglich rechtswidrigen” Antrag. So weit, so bekannt und nachvollziehbar. Doch wer ist eigentlich Albert Deß? Was weiß man über ihn?

Die Eigeninteressen des Albert Deß und des Freistaates Bayern

Albert Deß ist selbst Landwirt und gleichzeitig Vorstand der Bayernland-Molkerei. Eigene Interessen im Hinblick auf das Thema liegen demnach auf der Hand. Das alleine wäre schon genug. Doch Deß ist auch kein Unbekannter, was die Einreichung von Zusätzen betrifft. Rücker dazu: “Aus der Vergangenheit wurde ein prominenter Fall der Einflussnahme von Lobbyisten mit ihm in Verbindung gebracht”. Der EU-Parlamentarier hatte offenbar versucht, bestimmte Kleinbusse vor schärferen Schadstoffregeln zu bewahren, wie der Spiegel 2015 aufdeckte. Spiegel-Korrespondent Markus Becker sagte damals: “Dazu reichte er im Umweltausschuss einen Zusatz zur neuen EU-Verordnung zu Autoabgasen ein. Dumm nur: Das Dokument, das uns vorliegt, stammt möglicherweise aus der Feder der Volkswagen-Gruppe.” Im aktuellen Fall? “Können wir leider weder konkret über Motivationen noch über Lobbyeinflüsse Angaben machen”, winkt der Foodwatch Geschäftsführer ab. Warum die Initiative gerade aus Bayern kommt, das ähnlich strukturiert ist wie Österreich? Man würde sich weniger wundern, käme die Initiative aus Ländern, in denen Intensivlandwirtschaft betrieben wird, wie beispielsweise den Niederlanden oder Frankreich.  Rücker konstatiert, auch hierüber ließe sich nur spekulieren, aber Interessen gäbe es genügend. Ein Beispiel? Hat er auch. Die in Bayern noch verbreitete Anbindehaltung von Milchkühen: “Die Mehrheit der Verbraucher dürfte sie kritisch sehen. Machte der Handel seinen Lieferanten die Vorgabe, auf Anbindehaltung zu verzichten, wäre das für viele Milchbauern problematisch. Das ist nur ein mögliches Beispiel, aber es erklärt, dass wir nicht besonders überrascht sind, dass der Antrag aus Bayern kam.”

Und der Abänderungsantrag 360?

News gibt es auch beim zweiten viel diskutierten Abänderungsantrag mit der Nummer 360, der ebenfalls auf Deß zurückgeht – da ging es um ein künftiges Verbot genossenschaftsähnlicher Geschäftsmodelle, wie sie zum Beispiel Edeka lebt. Der gefundene Kompromiß: Nach dem Trilog fällt das Verbot weg, die Auswirkungen von Zusammenschlüssen aus Einzel- und Großhandel werden aber in einer Studie untersucht. Nicht Edeka & Co  sind allerdings darin das Thema, sondern supranationale Bündnisse wie Agecore – eine 2015 gegründete Einkaufsgemeinschaft von Handelsketten in Europa. Agecore kennt man übrigens durch den Streit mit Nestlé  und den Boykott seiner Produkte durch die angeschlossenen Ketten.

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Die finden Sie in diesen Artikeln

https://cms.bauernladen.at/wie-fair-ist-die-eu-richtlinie-zu-unfairen-handelspraktiken-teil-i/

https://cms.bauernladen.at/wie-fair-ist-die-eu-richtlinie-zu-unfairen-handelspraktiken-teil-2/