Ministerin Köstinger plädiert für mehr Digitalisierung in der Landwirtschaft. Was damit einhergeht? Traktoren, die Kommandobrücken gleichen und Sensoren, die in Echtzeit ermitteln, wie viel Dünger Pflanzen brauchen zum Beispiel.

Die “Ertragskartierung” ermöglicht eine ganzheitliche Betrachtung des räumlichen Ertragspotenzials in der Fläche. © Claas

Landwirtschaft oder Autoindustrie? Was meinen Sie, wo wird mehr Sensortechnik, Elektronik und Software eingesetzt? Stimmt. In der Landwirtschaft. In der Wertschöpfung sind es 30 vs. 10 Prozent. Der Markt ist stark. 2017 flossen schon im ersten Halbjahr 950 Mio. Euro an Risikokapital in Agrartechnik-Start Ups. Unter den Investoren finden sich inzwischen nicht nur Landmaschinenhersteller wie John Deere oder Claas, sondern auch IT-Größen wie SAP und Google. Was für Google in der Agrartechnik interessant ist? So einiges, Satellitenbilder beispielsweise, der Online-Handel, geschlossene Anbausysteme oder die Automatisierung.

Traktoren auf der Überholspur

Dass auf dem Acker bereits große Innovationen unterwegs sind, wundert da nicht mehr. In Sachen Assistenzsysteme und Vernetzung etwa haben die Hersteller Claas oder Fendt die Automobilindustrie bereits abgehängt. Wenn Sie heute in einem modernen Traktor unterwegs sind, dann hält der die Spur. Und zwar mit einer Genauigkeit von zwei Zentimetern. Ernteeinbußen wegen platt gefahrenen Pflanzen sind damit passé. Mit Kamera, Laser und GPS ausgestattete Lenk- und Spurhaltesysteme berechnen aber nicht nur die optimale Spur, sie berücksichtigen auch Hangneigung und Bodenverhältnisse. Der Reifendruck passt sich automatisch an. Und auch in der Elektromobilität tut sich etwas. 2017 hat Fendt mit dem e100 Vario den ersten vollelektronischen Kompakttraktor vorgestellt. Immerhin fünf Betriebsstunden kann der unter realen Einsatzbedingungen arbeiten. Wer ihn mit Strom aus Biomasse, Solarenergie, Wasser oder Windkraft auflädt, für den ist Energieautarkie keine Zukunftsvision mehr. Und das Aufladen geht flott: die Batterie soll sich in 40 Minuten bis zu 80 Prozent wieder aufladen lassen.

So sieht er aus, der erste E-Traktor, der fünf Betriebsstunden unter realen Einsatzbedingungen schafft. ©Fendt

Der grüne Daumen war gestern

Nehmen wir an, Sie sitzen immer noch auf Ihrem modernen Traktor. Die Kommandobrücke des Raumschiffes Enterprise sieht dagegen arm aus. Geländekarten, Satellitenbildern und Daten von Sensoren, auf all das haben sie Zugriff. Auswerten und dann auf den passenden Knopf drücken, das ist Ihre Aufgabe. Den grünen Daumen? Braucht kein Mensch mehr. Heute erhalten die Pflanzen dank Sensoren exakt den Dünger, den sie brauchen, auf jeder Teilfläche des Ackers versteht sich. In der Praxis geht das laut IT-Experte Christian Birnesser so: “Durch spektrale Messungen ermitteln Stickstoffsensoren die Blattfärbung des Pflanzenbestandes und übertragen die Messwerte an den Bordcomputer. Dieser gleicht die Messwerte mit Geodaten und Bodenkarten ab, errechnet den Düngebedarf und reguliert den Streuer respektive die Spritze präzise für jede Einzelpflanze. Alles in Echtzeit.” Was diese moderne High-Tech-Landwirtschaft bringt? Einen deutlichen Mehrertrag.

Precision Farming: Das bedeutet zum Beispiel teilflächenspezifische Mineraldüngerausbringung ©Claas

Auch in Österreich üben sich deshalb immer mehr Bauern in Precision Farming. Einer KeyQuest-Umfrage zufolge waren 2016 schon in sechs Prozent der Betriebe bzw. auf 13 Prozent der Ackerflächen derartige Technologien im Einsatz, sagt Martin Hirt, Leiter des LFI-Projekts „Digitalisierung in der Land- und Forstwirtschaft“. Er ortet vier Trends in der Präzisionslandwirtschaft: erstens bessere Sensor-Technologien – Stichwort Ultraschall, Kameras und satellitengestützte Systeme, zweitens eine zunehmend präzisere Entscheidungsfindung auf Basis gesammelter und ausgewerteter Daten, drittens immer mehr fernüberwachte und gesteuerte Prozesse, etwa via Smartphone, und viertens die Automatisierung und Robotisierung. “Bald werden sich vermutlich bald verschiedenste Geräte und Maschinen gut vernetzen lassen, um dann in Eigenregie zu funktionieren”, ist Hirt sicher.

IT-Revolution auf unseren Feldern

Der Sache mit den viele Daten nehmen sich aktuell gerade die TU (Technische Universität) und die BOKU (Universität für Bodenkultur) in ihrem Forschungsprojekt Farm/IT an. Von der Beschaffenheit des Bodens bis zu den Eigenheiten der ausgesäten Pflanzensorten, von Satelliten-Beobachtungsdaten bis zum aktuellen Wetterbericht, will man unterschiedliche Daten zu sammeln, verknüpfen und auf einfache Weise verfügbar machen.

„Die moderne Landwirtschaft hat ein Maß an Komplexität erreicht, dass Bauchgefühl alleine oft nicht mehr ausreicht.“

Das Projekt läuft noch bis 2021, doch schon jetzt kann man einige Erfolge vermelden: Beispielsweise die Erfassung der aktuellen Entwicklung der Kulturpflanzen mit Hilfe von Pflanzenwachstumsmodellen und Satellitendaten. Damit lässt sich der Ertrag und der optimale Erntezeitpunkt vorherberechnen. Der Computer kann aber auch verschiedene Fruchtfolge-Szenarien miteinander vergleichen und die optimalen Kulturpflanzen für ein bestimmtes Feld vorschlagen.  Die Umwelt profitiert von den elektronischen Landwirtschafts-Beratungs-Tools: So lässt sich berechnen, wieviel CO2-Ausstoß verursacht wird, wieviel Wasser verbraucht wird und wie groß die abgegebene Menge an Nitraten ist. “Der Computer wird zum fachkundigen Berater – und bald wird er wohl in der Landwirtschaft genauso selbstverständlich sein wie ABS oder Einparkhilfen im Auto”, sagt sagt Thomas Neubauer vom Institut für Information Systems Engineering der TU Wien. Der vielgerühmten Intuition kann er wenig abgewinnen: “Wer seit vielen Jahren Landwirtschaft betreibt, hat natürlich selbst einen reichen Erfahrungsschatz. Aber heute hat die moderne Landwirtschaft ein Maß an Komplexität erreicht, dass Bauchgefühl alleine nicht mehr ausreicht.”

Bei der bäuerlichen Digitalisierung gibt es zwei Entwicklungsstufen:

Precision Farming (informationsbasierter Ansatz): Infos werden digital aufbereitet, um Entscheidungen zu unterstützen. Beispiele: Wetter-Apps, Online-Plattformen zur Informationsgewinnung und Austausch und

Smart Farming (wissensbasierter Ansatz): Maschinen und Geräte verarbeiten die Infos selbständig und treffen (teil-)autonome Entscheidungen. Beispiele: vollautonome Bearbeitungs- und Erntemaschinen, Bodenanalysen in Echtzeit

Hier finden Sie den von Bundesministerin Köstinger vor wenigen Tagen vorgestellten Bericht über Digitalisierung in der Landwirtschaft:

https://www.bmnt.gv.at/service/publikationen/land/digitalisierung-in-der-landwirtschaft.html

Interessiert sie der Roboter- und Drohneneinsatz in der Landwirtschaft? Dann lesen Sie Teil zwei unserer Smart Farming Serie:

https://cms.bauernladen.at/smart-farming-teil-2-wenn-roboter-auf-drohnen-treffen-hat-der-bauer-kurz-pause/