Die Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien feiert gerade ihr 150-jähriges Jubiläum. Doch was tut die eigentlich so und warum gibt es sie überhaupt?

Börse historisches Bild

©Börse Wien

Wir schreiben das Jahr 1812. In Österreich wird schon damals viel Getreide angebaut, verkauft und gekauft. Seit diesem Jahr ist der Handel damit ein so genanntes freies Geschäft. Das funktioniert ganze 41 Jahre. 1853 will man den ungeregelten Handel mit einem der wichtigsten Nahrungsmittel aber endlich in geregelte Bahnen lenken. Dazu wird eine Warenbörse, die Wiener Frucht- und Mehlbörse gegründet, die dem Magistrat untersteht. Am 14. Juni 1869 wird man dann autonom. Und zwar mit der Wiener Produktenbörse, die unter der Leitung und Verwaltung ihrer Mitglieder steht. Doch was spielt sich da genau ab? An dieser Börse findet kein tatsächlicher Handel statt, es geht hier allem voran um Richtpreisfindung. Dazu werden Geschäftsabschlüsse ab einem Mindestumfang aufgezeichnet. Der ist je nach Ware unterschiedlich, beträgt in der Regel aber mindestens 100 Tonnen. Um welche Waren geht es? Um in der Region angebaute landwirtschaftlichen Rohstoffe und Halbfertigprodukte, die der menschlichen und tierischen Ernährung dienen. Gewürze, Kräuter, und forstwirtschaftliche Rohstoffe sind ausgenommen und auch Kolonialwaren wie Zucker, Kaffee, Tee, Schokolade und Kakao. Die neu initiierte Börse wurde bald täglich von hunderten am Agrargeschäft interessierten Kaufleuten besucht und entwickelte sich rasch zu einem bekannten, internationalen Warenhandelsplatz für landwirtschaftliche Produkte.

Von der wichtigsten Börse zur Bedeutungslosigkeit

Börsepräsident Josef Dietrich skizzierte ihre Aufgaben beim Festakt im 1890 errichteten Börsegebäude in der Wiener Taborstraße so: “Ihre Kernaufgaben sind es, den Geschäftsverkehr mit unentbehrlichen Usancen zu regeln, deren Einhaltung mit einem gut funktionierendem Schiedsgericht zu gewährleisten und mit den wöchentliche Notierungen der Preise tatsächlich physisch gehandelter Waren für Transparenz zu sorgen.” Tatsächlich war die Börse bis zum ersten Weltkrieg die wichtigste Börse für landwirtschaftliche Produkte der österreichisch-ungarischen Monarchie. Nach deren Untergang und den Jahren der Inflation erlebte der Börsenhandel einen großen Rückgang, von dem er sich erst Mitte der 20er-Jahre  erholte. In der Folge wurden täglich gut besuchte Börsentage abgehalten, an denen auch bedeutsame internationale Geschäfte abgeschlossen wurden. Österreich hatte damals noch einen großen Importbedarf an Agrarprodukten. Dieser Höhenflug dauerte bis zur zwangsweisen Schließung 1938. Zehn Jahre später, am 10. November 1948 erfolgte die Neukonstituierung der Börsekammer. Ein Jahr später wurde die erste Börseversammlung nach Kriegsende abgehalten. Allerdings war die Produktenbörse da schon bedeutungslos. Schließlich gab es bereits das Marktordnungsgesetz, das die Preisfestsetzung der Sozialpartnerschaft zuschrieb. Der Börsesaal wurde kurzerhand zum Theatersaal umfunktioniert.

. . . und zurück zur Notwendigkeit

Dann kam der Beitritt Österreichs zur EU 1995 und die damit verbundene Aufhebung des Marktordnungsgesetzes. Da schlug erneut die Stunde der  Produktenbörse. Sie nahm ihre Funktion als Ort der Richtpreisfindung durch die wichtigsten Marktteilnehmer wieder auf und tut das bis heute. Sektionsleiter Johannes Fankhauser vom Bundesministerium für Nachhaltigkeit, das gemeinsam mit dem Wirtschaftsressort die Börseaufsicht ausübt, skizziert die einstigen Gründungsmotive anlässlich des Jubiläums mit einem “zentralen Interesse von Staaten und Regierungen an Versorgungssicherheit”. Mangel habe in der Geschichte wiederholt zu Unruhen und Auseinandersetzungen geführt. Dem sei im Laufe der Jahrhunderte abwechselnd durch staatliche Lenkung oder durch Liberalisierung der Märkte begegnet worden. In einer Ära schlechter Ernten und hoher Preise Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die nach der Freigabe des Handels von Getreide auf der Basis des Austausches von Mustern an sogenannten “wilden Börsen” die Notwendigkeit geregelter Bahnen dafür erkannt. Und die Gründung der Börse vorangetrieben. “Seit dem EU-Beitritt Österreichs sind die Märkte wieder liberalisiert und alle Produkte frei handelbar. Das stellt die Notwendigkeit und Wichtigkeit unserer Börse neuerlich unter Beweis”, so Dietrich. Zukunftspläne der Produktenbörse gibt es übrigens auch bereits. Man plant unter anderem, ihre Notierungstätigkeit künftig auch auf Bioprodukte auszudehnen.