Quallen: Eine Spezies, die bisher als Plage angesehen wurde, könnte bald viel mehr sein. Futter für Zuchtfische etwa, oder Dünger für die Landwirtschaft.

Quallen: Sind lästiger Beifang für Fischer und stören Badende an Europas Stränden. © Unsplash/Tim Mossholder

Wie viele Quallen gibt es in europäischen Gewässern? Egal welche Zahl Ihnen jetzt in den Sinn kommt, es sind viel mehr. “Alleine die eingeschleppte amerikanische Rippenqualle kommt auf eine Biomasse von einer Milliarde Tonnen”, sagt Jamileh Javidpour vom Geomar, dem Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Und die muss es wissen, schließlich ist sie die Initiatorin von GoJelly, einem europäischen Projekt, das sich der Frage widmet, wie man diese noch weitgehend unerforschten Organismen sinnvoll nützen kann. Und da ist man jetzt auf wirklich kreative Möglichkeiten gestoßen, mit der man der Quallenplage Herr werden kann, die angesichts des fortschreitenden Klimawandels nicht kleiner werden wird. Quallen könnten künftig nicht nur zur Delikatesse werden, sondern auch zu Fischfutter, Dünger für die Landwirtschaft, zu biologischen Insektenvernichtungsmitteln und  sie könnten als Filter für Mikroplastik dienen.

Potenzial als Fischfutter

Die Fischindustrie hat ein Problem. Sie füttert ihre in Aquakultur großgezogenen Fische in der Regel mit Wildfischen. Damit befeuert sie die Überfischung mit all den daraus resultierenden Problemen wie steigende Wassertemperaturen, Ozeanversauerung, Überfischung und dem Fehlen von Fraßfeinden. Das wiederum führt  dann zur überproportionalen Entwicklung von Quallen, die in immer riesigeren Schwärmen auftreten und bereits ganze  Fischfarmen an europäischen Küsten vernichtet haben. Die ungewöhnliche Idee der Forscher lautet nun, den Spieß umzudrehen: Sie denken daran, Fischfutter aus Quallen herzustellen. “Wenn man weiß, dass Wildfische sich von der Qualle ernähren, warum sollte man sie nicht in der Aquakultur verwenden?”, erläutert die Forscherin und betont: “Das wäre deutlich nachhaltiger und würde die Wildfischbestände schonen. Es wäre unsinnig, dieses Potenzial nicht zu nutzen”. Machbar ist das allemal. Schirm und Tentakel können dazu verarbeitet werden.

„Quallen können Rohstoffe für verschiedenste Verwendungszwecke liefern. Es wäre unsinnig, dieses Potenzial nicht zu nutzen, zumal uns die zugrunde liegende Biomasse direkt vor die Haustür schwimmt.”

Einsatz als Phosphatdünger

Quallen können aber noch mehr. Beispielsweise zu Dünger werden. Allem voran der Phosphatgehalt prädestiniert sie dazu, bisher erhältliche, teure Dünger für phosphatarme Böden zu ersetzen. Die entstehen übrigens aufgrund der generellen Säure im Boden und der weit verbreiteten Monokulturen. Wie lebensnotwendig Phosphor ist, das zeigt alleine die Tatsache, dass der erwachsene Mensch ein halbes Kilogramm davon im Körper hat, das unter anderem für das Atmen benötigt wird. Für Kleinbauern, die sich Phosphatdünger nicht leisten können – etwa in Afrika, könnte der Quallendünger gute Dienste leisten. Ganz neu ist die Sache allerdings nicht. Küstennah arbeitende Bauern haben Magnesium-, kalzium-, stickstoff- und phosphatreiche Quallen schon vor langer Zeit als Dünger auf ihren Feldern zu genutzt. Den Forschern geht es jetzt darum, den Einsatz zu professionalisieren. Agrarwissenschaftler Thorsten Reinsch von der Uni Kiel kann sich das vorstellen: “Wenn man getrocknetes Material wieder in Wasser auflöst und dann zum Beispiel als Blattdünger aufbringt, kann so ein Dünger effizient aufgenommen werden“, sagt er. Und noch etwas ist interessant: Das Quallenkollagen: “Es könnte sich sehr gut dazu eignen, Feuchtigkeit im Boden zu halten”, so Reinsch. Wo es eine schlechte Wasserversorgung im Boden oder trockene Böden im Zuge des Klimawandels gäbe, wäre das interessant. “So ein quallenbasierter Dünger oder Bodenhilfsstoff könnte dafür sorgen, dass Saatgut besser keimt und sich junge Pflanzen unter klimatischen Stressbedingungen besser entwickeln.“

Kaum eine Qualle ist so schön: Die Spiegeleiqualle lebt im Mittelmeer © Unsplash/Tim Mossholder

Einen Quallensalat bitte!

Auch an die Nahrungsmittelproduktion für den menschlichen Verzehr haben die Forscher gedacht. „In einige Kulturen stehen Quallen bereits auf dem Speiseplan. Wenn das Endprodukt nicht mehr glibberig ist, könnte es auch allgemein eine größere Akzeptanz erlangen“, ist sich Javidpour sicher.  In China finden sich in feine Streifen geschnittene Quallen in jedem Salat. Und das nicht ohne Grund. Quallen sind fettfrei und haben kein Cholesterin. Sie bestehen zwar zu 95 Prozent aus Wasser, doch die Trockenmasse liefert 25 Prozent Eiweiß und Spurenelemente wie Natrium, Kalzium, Kalium und Magnesium. Einziges aktuelles Problem: Es gibt noch kein unkompliziertes Verfahren, um das Gift der Quallen, das in den Tentakeln sitzt, vollständig unschädlich zu machen. Und: Die europäischen Lebensmittelbehörden haben die Qualle noch nicht freigegeben.

Klebefalle für Mikroplastik und Bio Insektenvernichter

Was die Forscher noch versuchen: Einen Filter herzustellen, der in Klärwerken Mikroplastikpartikel aufnimmt, die im Recyclingprozess nicht herausgefiltert werden. „Quallenschleim funktioniert wie ein Kleber für Plastikpartikel“, sagt Javidpour. Und also liegt die Idee nahe, ihn als Filter zu nutzen. „Wir wollen also ausprobieren, ob aus Quallen Biofilter hergestellt werden können. Die könnten dann in Klärwerken oder in Fabriken eingesetzt werden, in denen Mikroplastik anfällt.” Eine andere Idee ist, Quallen als biologische Insektenvernichtungsmittel einzusetzen.  Dazu wollen die Forscher das Nesselgift der Feuerqualle einsetzen. Und die Quallen könnten sich auch noch als Unkrautvernichter eignen. Sie sehen: Der schlechte Ruf der Tiere, die in überfischten Meeren kaum noch Fressfeinde haben und den Fischen ihre Nahrung wie Plankton und kleine Krebse streitig machen, könnte bald dahin sein.

Go Jelly

Go Jelly  ist ein EU-Projekt, bei dem 15 wissenschaftliche Institute aus acht Ländern, allem voran das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, daran beteiligt sind, das Nutzungsmöglichkeiten von Quallen herauszufinden und sie zum Nutztier des 21. Jahrhunderts zu machen. Das Projekt läuft noch bis 2021.

https://gojelly.eu/