Landwirtschaftskammer-Experte Christian Jochum über eigenwillige Konsumenten, Äpfel, die in der falschen Jahreszeit gegessen werden und Selbstbedienungslösungen mit Perspektive.

Zeitgenossen, die es nachts nach einem Steak gelüstet, häufen sich. © Little Creek Cattle Company Pty Ltd.

Bauernladen: Was sagen sie zu Automatenlösungen, wo ich nicht vorbestellen muss, aber rund um die Uhr meine Lebensmittel direkt vom Bauern bekomme?

Jochum: Es gibt Container mit unterschiedlicher Ausstattung, wo ich beispielsweise auch nach 22h abends noch meinen Apfelsaft, Most oder Speck bekomme, Milch zapfen kann oder Eier kaufen – zb. Landspeis-Container an Verkehrsknotenpunkten. In ländlichen Gebieten funktionieren auch Selbstbedienungslösungen mit Wechselgeldkassen, die auf Vertrauen basieren, mit minimalem Schwund. Genauso wie Lösungen, die ein bestimmtes Segment, wie Fleisch, abdecken. Es gibt eine Zielgruppe, die spät abends draufkommt, zu wenig Fleisch zum Grillen eingekauft zu haben, oder sich um halb zwei in der Nacht noch ein Steak braten will. Ich kenne einen Anbieter, der zu bestimmten Zeiten mit dem Nachbestücken von Fleisch nicht nachgekommen ist.

Bauernladen.at: Wo geht die Direktvermarktungsreise noch hin?

Jochum: Richtung Kooperationen, etwa mit der Gastronomie. Jemanden zu haben, der On The Go verkauft, den B2C-Kontakt hat, und ich liefere ihm B2B den Rohstoff für sein Produkt, das ist denkbar. Und natürlich gibt es eine Premium-Schiene. Die kommt immer dann zum Tragen, wenn Menschen nicht den möglichst günstigen Einkauf suchen, zu Anlässen, wenn man sich Freunde einlädt, am Wochenende. Auch dieses Segment wächst, kompensiert von der Menge her aber nicht, was Montag bis Freitag schnell an Lebensmitteln gekauft wird.

Bauernladen.at: Stichwort Produkthaftung – in der Nussmischung ist ein Steinchen, an dem sich der Kunde die Krone ausbeißt, die Marmelade ist schimmelig, wie sieht es damit aus?

Jochum: Rechtlich ist die Sache klar. Jeder der Lebensmittel auf den Markt bringt, ist per Gesetz für die Sicherheit dieser Lebensmittel verantwortlich. Das Risiko ist allerdings auch dank Hygiene- und Produktsicherheitsschulungen der Landwirtschaftskammer überschaubar. Gab es früher noch Fälle von Benzpyren in geräucherten Fleischwaren, so zeigt sich seit über einem Jahrzehnt in der Auswertungsstatistik nur noch ein vernachlässigbares Problem: das der Kennzeichnung. Zudem hat ein Kennzeichnungsmangel nur indirekt etwas mit dem Lebensmittel zu tun, besteht etwa, wenn Nährwerte nicht richtig angeführt sind, oder Begriffe wie „mindestens haltbar bis“ nicht ausgeschrieben sind.  Bei Direktvermarktern gibt es übrigens die wenigsten Kennzeichnungsmängel, weniger als in der Industrie, im Lebensmittelhandel und in der Gastronomie.

Bauernladen.at: Im Wesen der Direktvermarktung liegen auch die begrenzte Verfügbarkeit und die saisonale Abhängigkeit. Wie lässt sich damit umgehen?

Jochum: Ein Betrieb mit 20, 30, 40 Hektar kann einem Wirt anlässlich einer Hochzeit übermorgen nicht 100 Schweinsbraten liefern. Und Salat wächst im Dezember nun mal schlecht hier. Ich kann ganzjährig Wurst, Käse, Eier anbieten, aber bei pflanzlichen Waren  gibt es eine regionale und saisonale Begrenztheit. Das ist aber auch das Besondere, das die bäuerliche Direktvermarktung ausmacht und dem Konsumenten eine Entscheidung abverlangt. Wer das ganze Jahr über Paradeiser haben will, dem kann ich nicht helfen. Wenn ich mir allerdings die generelle Entwicklung ansehe, was die Absatzzahlen betrifft, bin ich wenig optimistisch: Da finden sich in den Supermärkten Paradeiser im Jänner aus Marokko, Marillen im Februar aus Chile, Tafeltrauben aus Indien im Mai. Die Globalisierung hat auch bei Lebensmitteln Einzug gehalten. Obst und Gemüse aus entferntesten Regionen landet dank Flugfracht und Weitertransport aus Rotterdam extrem schnell in den Supermarktregalen. Und daran wird sich auch nichts ändern.

Bauernladen.at: Nimmt auch die immer größer werdende Mobilität der Gesellschaft und die damit einhergehenden Bedürfnisse Einfluss auf die bäuerliche Produktion und das Angebot?

Jochum: Eine gerade vor mir liegende neue Präsentation bestätigt das klar. Die mobile Gesellschaft isst unterwegs. Und es muss schnell gehen. Von daher ist Snackfood ein großes Thema. Gefragt ist Beerenobst, etwa Himbeeren im November.  Da muss man nur ein Schüsserl aufreißen und essen. Der Preis spielt dabei keine Rolle. Ein anderes Beispiel: Paradeiser sind heute ganzjährig das wichtigste Gemüse, auch weil man sie nicht zubereiten muss. Besonders zugelegt haben die mundgerechten Kirschtomaten. Das ist eine „verrückte“ Welt, aber wie haben keine andere und ich sehe wenig Anzeichen, dass sich etwas verändert. Im Gegenteil, es kommt eine kaufkräftige „Next Generation“ von Konsumenten, die nichts dabei findet, dass ihre Himbeeren im Winter aus Portugal kommen und einen 2.000 Kilometer langen Transport hinter sich haben. Oder die Kirschtomaten zum selben Zeitpunkt zwischen sieben und zwölf Euro das Kilo kosten.

Bauernladen: Essen „On The Go“ greift um sich?

Jochum: Essen immer und überall liegt im Trend, sprich On The Go, Snacking, mit wenig Werkzeug, den Kopfhörer auf, links das Smartphone in der Hand, rechts den Kaffee, Tee oder Smoothie, möglichst etwas, das man ohne Kauen schlucken kann. Zwei persönliche Erlebnisse haben sich mir in diesem Zusammenhang besonders eingeprägt: Zum einen ein junger Mann, der einen Zug versäumte und sich nach kurzem Googeln eine Pizza zum Bahnsteig bestellte. Zum anderen eine junge Frau, die ihr Essen, Asianudeln aus dem Plastikbecher mit der Plastikgabel, auf einer langen Rolltreppe verzehrte. Essen als ausschließliche Beschäftigung und zuhause ist out, Multitasking ist in – etwa essen beim Musikhören oder während man Social Media nutzt. Dass damit auch Unmengen an Verpackung oder Geruchsbelästigung anderer einhergeht, ist kein Thema. Das Essverbot in der Wiener U-Bahn kommt nicht von ungefähr.

Bauernladen: Dieser Trend bringt natürlich auch eine Menge Verlierer mit sich?

Jochum: Ja, den Apfel zum Beispiel. In den muss man reinbeißen, das fällt mittlerweile schon in die Kategorie „mühsam“. Steirische Apfelbauern steigen deshalb bereits vermehrt auf die Produktion von Heidelbeeren um. Abgesehen davon hat der Apfel auch noch ein saisonales Problem. Die ersten Äpfel aus heimischer Produktion, die man beim Bauern bekommt, sind die Klaräpfel.  Die muss man aber mögen. Andere ernst zu nehmenden Sorten kommen erst Ende August in den Verkauf. Im Herbst werden aber viel zu wenige Äpfel gekauft und gegessen. Stattdessen werden sie gern von März bis Juni konsumiert, ein Zeitpunkt, zu dem sie bereits ein halbes Jahr gelagert sind und einen entsprechenden CO2-Rucksack mitbringen. Von daher sollten wir Äpfel eigentlich von September bis Februar und nicht von März bis Juni essen.

Bauernladen.at: In diesem urbanen On The Go-Format, hat die Direktvermarktung da überhaupt noch einen Platz?

Jochum: Man muss die Situation nüchtern betrachten und die Möglichkeiten nutzen, die sich daraus ergeben. Ein gutes Beispiel liefert ein Direktvermarkter, die an Mobilitätsknotenpunkten, wie z.B. einer U-Bahnstation, seit Jahren von Frühling  bis Herbst sein Obstsortiment, von Beeren über Steinobst bis zu den Äpfeln im Herbst sehr erfolgreich verkaufen. Zu den Knotenpunkten hinzugehen, auch das ist eine Form des Direktvertriebs. (Anm. d. Red. Fam. Digles, www.digles-früchte.at)

Lesen Sie hier den ersten Teil des Interviews mit Christian Jochum!

https://cms.bauernladen.at/das-marchen-der-bauernfamilie-mit-sechs-oder-sieben-kindern-halt-sich-hartnackig/

Weitere Infos zu den Landspeiscontainern: http://www.landspeis.at