Landwirtschaftskammer-Experte Christian Jochum über veränderte bäuerliche Familienstrukturen, Direktvermarktung und die Tücken des Online-Handels.

Ein Bild, das Vergangenheit ist: viele Kinder, die als billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. © ÖNB/Lichtbildstelle

Bauernladen.at: Wie sieht es heute, zwei Jahre nach der KeyQuest Landwirtebefragung  aus mit der Direktvermarkung in Österreich?

Jochum: Die Strukturen im Agrarbereich ändern sich in einem solchen Zeitraum nicht dramatisch. Insofern gilt das gute, kompakte Bild, das die Befragung 2016 zeigte, noch immer. Was sich aktuell zeigt, ist der Trend, dass diejenigen, die die Direktvermarktung damals schon professionell betrieben haben, diese Schiene noch intensivieren, während jene, bei denen sie eher nebenher lief, sie extensivieren. Sprich, wenn etwa die „Schwiegermutter“, die diesen Bereich bisher betreute, nicht mehr mag oder kann, lässt man die Sache irgendwann auslaufen.

Bauernladen.at: Wie viele heimische Bauern beziehen heute bereits das Haupteinkommen aus der Direktvermarktung?

Jochum: Rund 17.000 bäuerliche Betriebe ziehen inzwischen mehr als 51 Prozent ihres Einkommens aus der Direktvermarktung. Das ist eine klare Ansage. Zumal der Direktvermarkter ja drei Jobs hat. Er ist Rohstoffproduzent, Verarbeiter und Vermarkter.

Bauernladen.at: Der Verkauf erfolgt in der Regel Face to Face, ist im B2C Bereich angesiedelt. Wird das auch künftig so bleiben?

Jochum: Das B2C Segment spielt immer noch die größte Rolle. Tendenziell erfolgt der Verkauf aber mittlerweile auch immer öfter im B2B Bereich, hier spielt die Gastronomie eine Rolle, die ihrerseits den Rohstoff verarbeitet, oder aber der Lebensmittelhandel, vom örtlichen Spar-Kaufmann bis hin zu den großen Ketten.

Bauernladen.at: Wie wirkt sich die noch immer kleinstrukturierte österreichische Landwirtschaft auf den Direktvermarktungsbereich aus? Wenn kein flächenmäßiges Wachstum möglich ist, kann man ja nur in die Tiefe wachsen, in dem man den eigenen Rohstoff veredelt, verkauft und daraus Wertschöpfung generiert. Bleibt da noch immer jeder Arbeitsschritt in der Familie?

Jochum: Früher war die Personalausstattung ausreichend – dank zwei bis drei-Generationenfamilien, rüstiger Altbauern, die noch mitarbeiten, und Kindern, die in den Ferien mit anpacken. Was es statistisch belegbar nicht mehr gibt, sind Bauernfamilien mit sechs bis sieben Kindern. Dennoch hält sich dieses Märchen hartnäckig. Aktuell liegt der Schnitt bei etwa drei, und auch die stehen nicht als „billige“ Arbeitskräfte zur Verfügung, sondern durchlaufen Ausbildungen. Das führt wiederum dazu, dass die Bauernfamilie zwar tendenziell weiter den Hauptanteil der Arbeit übernimmt, bestimmte Schritte inzwischen aber immer öfter auch ausgelagert werden. Man kooperiert beispielsweise mit anderen Bauern, Gewerbebetrieben, spannt in der Landwirtschaft den Maschinenring ein, greift auf Lohndrescher zurück. Und auch in der Verarbeitung und im Verkauf wird teils Personal eingestellt. Man kann nebenher ein paar Kilo Erdäpfel verkaufen, aber speziell wenn tierische Rohstoffe wie Milch oder Fleisch verarbeitet werden, wird es schnell kapitalintensiver. Es braucht Maschinen, technische Ausstattung, Räumlichkeiten und ab einer bestimmten Größe auch Personal. Was den Verkauf betrifft, so finden etwa Bauernmärkte in der Regel am Wochenende statt. Wer auf mehr als einem präsent sein will ,  braucht jemanden für den Verkauf.

©KeyQuest

Bauernladen.at: Bio vs. Konventionell. Wer punktet mehr in der Direktvermarktung?

Jochum: Im Biobereich ist der Anteil der Direktvermarktung überproportional höher als im konventionellen Bereich. Der größte Anteil der biobäuerlichen Produktion fließt allerdings nach wie vor in den Lebensmitteleinzelhandel (LEH). Wobei es sich dabei um eine österreichische Besonderheit handelt, weil hier schon sehr früh auf den Vertriebskanal LEH gesetzt wurde – Stichwort JA Natürlich. Dessen Vertriebsmacht hat der Bio-Landwirtschaft schnell zu einem namhaften Absatz verholfen. Ähnlich war das in Dänemark, während sich in Deutschland Bio lange geweigert hat, dem LEH zu liefern. Daraus folgte, dass dort der stärkste Absatzkanal Naturkost- und Reformläden sind und der LEH noch immer unterrepräsentiert ist. In Zahlen kommt der LEH in Österreich auf etwa 7 bis 8 Prozent, in Deutschland 3,5 bis 4 Prozent. 2016 wurden 75 Prozent der Produktion der heimischen Biobauern im LEH abgesetzt, 19 Prozent im Direktvertrieb und sechs Prozent in der Gastronomie. Nachdem in Österreich 2016 gesamt Bio-Lebensmittel im Gesamtwert von rund 1,6 Milliarden Euro gekauft wurden, bedeuten die erwähnten 7-8 Prozent dann 20 bis 21 Millionen Euro Umsatz. Wobei es hier eine gewisse Unschärfe gibt, weil Bio ja auch importiert bzw. exportiert wird. Die Tendenz zeigt weiterhin ein Wachstum.

Bauernladen.at: Noch macht der Ab Hof-Verkauf etwa 70 Prozent des bäuerlichen Direktvertriebs aus. Aber es gibt mittlerweile ja viele Facetten, wo nicht der Konsument zur Ware kommt, sondern umgekehrt: Zustellservices, Abo Systeme, Online-Vertrieb mit Zustellung etc. Was davon hat Zukunft?

Jochum: Die reine Zustellung hat sich im Lebensmittelhandel nicht durchgesetzt und wird es auch im Direktvertrieb nicht. Mittlerweile wird  fieberhaft nach Mischlösungen gesucht mit dem Ziel online, tageszeitenunabhängig bestellen zu können, und Abholpunkte anzubieten.  Ein tschechischer Anbieter, mit dem ich kürzlich gesprochen habe, liefert ein gutes Beispiel: er nimmt online Bestellungen entgegen und gibt sie mobil ab – aus vier Fahrzeugen, die er täglich an unterschiedlichen Standorten platziert, über die er seine Kunden informiert.

Bauernladen.at: Wie sieht es mit der solidarischen Landwirtschaft aus? Hat diese Idee Potenzial?

Jochum: Solidarische Landwirtschaft  treibt den Trend, dass Menschen wissen wollen, wo ihre Lebensmittel herkommen, auf die Spitze. Ich persönlich glaube aber nicht, dass dieses Angebot größere Bedeutung erlangt: Erfolgreich ist, was bequem ist und Zeit spart – Stichwort One Stop Shop. So erklärt sich der Siegeszug des Supermarktes. Deshalb entwickelte Amazon mit Amazon Go jetzt ein System der kassenlosen Supermärkte.

Bauernladen.at: Bäuerliche Direktvermarktung an sich eignet sich ja nur mäßig als One Stop Shop. Wo liegt die Lösung für dieses Dilemma?

Jochum: Wenn bäuerliche Direktvermarktung erfolgreich bleiben will, muss sie im Hinblick auf Zeitersparnis und Bequemlichkeit Lösungen mit Hilfe von IT entwickeln. Aktuell wird herumexperimentiert. Suboptimal sind jedenfalls „Kistl“-Services, die die Anwesenheit des Kunden verlangen oder „Kisten“ irgendwo abzustellen – wo die Kühlkette nicht eingehalten werden kann.

Bauernladen.at: Welchen Stellenwert wird der Online-Direktvertrieb künftig einnehmen?

Jochum: Inwieweit Online sich etablieren kann hängt von der Bequemlichkeit des Bestellvorgangs ab. Derzeit hat das Medium noch ein Problem. Bis ich mit Maus oder Touchscreen im richtigen Regal bin, habe ich beim Supermarkt ums Eck meine sieben Sachen schon zusammengeklaubt und bin längst wieder raus. Ganz abgesehen von der Herausforderung der Einhaltung der Kühlkette.

Bauernladen.at: Und dann ist da ja auch noch das Verpackungsproblem!

Jochum: Richtig. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts hat 2016 festgestellt, dass der Verpackungsaufwand nicht lohnt, wenn ein Lebensmittel nicht mindestens 10 Euro pro Liter oder Kilo kostet. Das hieße zum Beispiel dass ich nicht einen Liter sondern mindestens eine Kiste Apfelsaft verschicken müsste, damit es sich rechnet, selbst wenn der Liter vier Euro kostet. Der urbane Abnehmer wiederum muss das Verpackungsmaterial zahlen und entsorgen. Irgendwann kommt man mit dem Entsorgen nicht mehr nach. Es bräuchte eine spezielle Lebensmittelkleinlogistik, wo jeder Lieferant alles mitnimmt und die Kühlung im Fahrzeug stattfindet. Eine andere, allerdings mit hohem technischem Aufwand verbundene Option wäre, Fixpunkte zu haben, in denen Vorbestellungen in Automaten deponiert werden. Der Konsument wird dann automatisch via SMS verständigt, dass seine Ware abholbereit ist, der Direktvermarkter wiederum, wenn die Ware abgeholt wurde und das Fach wieder frei ist. Eine andere Idee wären neutrale Fächer in Wohnhausanlagen, in die vormittags die Lebensmittel geliefert werden und nachmittags der Schuh von Zalando.

Christian Jochum ist Referatsleiter Agrarmarketing und Sonderkulturen in der österreichischen Landwirtschaftskammer und Urheber der KeyQuest Landwirtebefragung zum Thema Direktvermarktung 2016, Infos: www.lko.at