Machen die Bioauflagen der Handelsketten die heimischen Bergbauern kaputt? Wir haben mit Franziskus Forster von Via Campesina, der österreichischen Berg- und Kleinbauernvereinigung, darüber gesprochen.

Alles begann damit, dasoss oststeirische Bauern sich kürzlich aus der “Zurück zum Ursprung” Bio-Linie des Diskonters Hofer zurückgezogen haben – als Protest gegen schärfere Auflagen. Neben Weidehaltung verlangte der nun, genau wie die Rewe-Gruppe schon davor, Auslauf für die Kühe an 365 Tagen im Jahr. Zwei Stunden lang sollten sie bei jedem Wetter ins Freie, ab 2022 weitgehend in Laufställen gehalten werden. Zwei Cent mehr pro Kilo Milch* (siehe Anm. unten) sollte es dafür geben. Es folgten 160 verärgerte steirische Bio-Milchbauern, die entweder dem Verband Bio Austria beitreten sollten oder aber einen jährlichen Beitrag und 0,2 Cent pro Kilo Milch zahlen. Gesamt enspricht das wieder dem Bio-Austria Mitgliedsbeitrag. Seither darf die Öffentlichkeit an einem Streit zwischen Hofer-Vertreter mit Bio-Urgestein Werner Lampert und den erbosten Bauern teilhaben. Während Lampert einbringt, keine Abstriche zu machen, er zahle ja den höchsten heimischen Milchpreis, sehen die Bauern ihre Lebensgrundlage in Gefahr. Unter Tierwohl verstehen die Kontrahenten jeweils etwas anderes. Und es steht die Frage im Raum, ob Handelsketten die zugehörigen Standards bestimmen sollten. Wir haben mit Franziskus Forster von Via Campesina darüber gesprochen.

Bauernladen: Herr Forster, wie sehen Sie das Dilemma? Einerseits führt kein Weg am Tierwohl vorbei, andererseits sind die Auflagen des Handels vor allem für kleine Bergbauern schwierig umzusetzen.

Franziskus Forster: Wenn 70 Prozent der Milchkühe im Berggebiet gehalten werden, wie in Österreich, dann braucht es eine Berücksichtigung der naturräumlichen Gegebenheiten und Besonderheiten dieser Landwirtschaft – nicht nur in der Werbung. Es gibt Bergbetriebe, die in ihren Möglichkeiten stark eingeschränkt sind. Das muss bei Richtlinien und Auflagen in Form von Sonderregeln oder in Form von längeren Übergangsperioden mit einbezogen werden. Abgesehen davon ist Tierwohl ein vielschichtiges Thema, das sich nicht in der Haltungsform erschöpft. Der Tiergerechtigkeitsindex bietet wesentliche Anhaltspunkte (Anm.: Bewegungsmöglichkeit, Sozialkontakt, Bodenbeschaffenheit, Stallklima, Betreuungsintensität), um Tierwohl ganzheitlich zu erfassen und zugleich Strategien zu entwickeln, dieses angepasst an die Bedingungen im Betrieb umzusetzen. Zur Beurteilung der Lage gehört auch, dass Schritte für einen Betrieb wirtschaftlich möglich sein müssen.

Bauernladen: Agrarpolitisch werden Diskussionen über Tierwohl seit Jahren auf die lange Bank geschoben. Rächt sich das jetzt?

Forster: Ja natürlich. Der Wachstumswahn der Milchwirtschaft hat zur heutigen Überproduktion, dem Preisverfall und der Verschuldung in der Landwirtschaft geführt. Diese Entwicklung geht seit Jahren auf Kosten der Klein- und Bergbetriebe. Kleinbetriebe müssen Preisabschläge von Molkereien in Kauf nehmen, viele Betriebe können sich die Molkerei nicht aussuchen und sind entsprechend abhängig. Milchauszahlungspreise erfahren sie rückwirkend, Auflagen per Post, Molkereiversammlungen sind eine Massenveranstaltung ohne Debatte der brennenden Fragen. Gleichzeitig wird in der Werbung eine klein- und bergbäuerliche Idylle ausgebreitet. In Wirklichkeit stehen viele Betriebe vor dem Aufhören. Wir stehen vor einem Scherbenhaufen, den uns die bisherige Agrarpolitik beschert hat.

Bauernladen: Ist Machtkonzentration das Schlüsselproblem?

Forster: Drei Supermärkte kontrollieren 87 % des Marktes. Ebenso hochkonzentriert sind die Molkereien (Top 3: 54 Prozent/Top 10: 91 Prozent). Darin besteht das Dilemma, das sich in der aktuellen Diskussion ausdrückt. Einerseits werden Betriebe von Handel und Molkereien dazu degradiert, einen möglichst billigen „Rohstoff“ zu produzieren – Stichwort: billiger als Mineralwasser, andererseits wird ihnen die Schuld zugeschoben, wenn sie Auflagen nicht erfüllen können. Derzeit werden Bauern gar nicht eingebunden. Viele haben Angst, dass ihnen die Verträge gekündigt werden, wenn sie Kritik üben. Wir brauchen mehr Tierwohl. Die Frage ist aber, wie das erreicht werden soll. Eine Diskussion auf Augenhöhe ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Zugleich ist auch solidarisches Handeln und Selbstkritik unter Bauern dringend notwendig.

Bauernladen: Welche Rolle spielt die vorhandene Überproduktion an Milch in dem Dilemma?

Forster: Der Handel kann dadurch einerseits Druck auf die Produzenten ausüben, und sich andererseits die Rosinen herauspicken. Langfristig gesehen ist diese Vorgehensweise aber politisch verantwortungslos. Zurück zum Ursprung hat ein Interesse daran, dass die Marke für den Supermarktkonzern funktioniert, braucht die Abgrenzung gegen andere Marken.

Dass sich Werner Lampert als Vorreiter inszenieren will, ist aus bäuerlicher Sicht hochgradig zynisch, aus seiner Marketingperspektive heraus aber verständlich.

Aber es geht um mehr als bloßes Marketing. Politisch betrachtet stellt sich doch für Bürger ebenso wie für Bauern die zentrale Frage: Welche Landwirtschaft wollen wir? Wollen wir in Zukunft eine Berglandwirtschaft? Wenn ja, dann dürfen wir diese Entscheidung nicht dem Handel und auch nicht den Molkereien (= „der Markt“) überlassen, sondern müssen die Agrarpolitik so ausgestalten, dass Bergbauern einbezogen werden und dies auch möglich wird. Eigenmarken von Supermärkten stehen in Konkurrenz zueinander, Maßnahmen sind nur interessant, wenn sie einen Konkurrenzvorteil versprechen. Ernsthafte und ganzheitliche Lösungen können in dieser Logik nicht entstehen. Mehr Tierwohl kann nicht gegen die Bauern erreicht werden.

Bauernladen: Was bräuchte es Ihrer Meinung nach, um hier voranzukommen?

Foster: Eine Kehrtwende in der Investitionsförderung: keine Produktionsausweitung mehr, sondern nur mehr Maßnahmen fördern, die Tierwohl, ökologische Bewirtschaftung und Arbeitserleichterung ermöglichen und in diesem umfassenderen Sinne wirtschaftlich sind. Insgesamt braucht es ein System, das kostendeckende Preise und Wirtschaftlichkeit ermöglicht.

Bauernladen: Wenn die Zukunftsfragen der Landwirtschaft künftig nicht mehr im Supermarktregal entschieden werden sollen. Welche Alternativen gibt es dazu?

Forster: Die Bauern müssen sich gemeinsam mit Konsumenten politisch mehr Gehör verschaffen. Auswegsszenarien reichen von einer Neubelebung von Dorfmolkereien bis hin zu besseren Rahmenbedingungen für Direktvermarktung, Betriebskooperationen und vielfältige weitere kreative Ansätze. Agrarpolitisch braucht es eine Regulierung der Märkte und Mengen, eine wirkungsvolle Förderung einer klein- und bergbäuerlichen Landwirtschaft, die zukunftsfähig ist und Tierwohl, Lebensmittelqualität, Vielfalt und soziale sowie ökologische Nachhaltigkeit fördert. Darüber hinaus müssen Antworten auf Verschuldung und Arbeitsüberlastung gefunden werden.

Die Auswegsszenarien reichen von einer Neubelebung von Dorfmolkereien bis zu besseren Rahmenbedingungen  für Direktvermarktung.

Bauernladen: Wäre die Direktvermarktung nicht eine Option, um unabhängiger zu werden?

Forster: Die Direktvermarktung hat in der Berg- und Biolandwirtschaft bereits eine besonders große Bedeutung, wenngleich die Datenlage nicht sehr gut ist. Was man sagen kann, ist, dass  ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe ist in Österreich in der Direktvermarktung tätig und von diesen 28 Prozent Milch und Milchprodukte direkt vermarkten. Die Vermarktungschancen schwanken aber je nach Lage, Einkommenssituation, Zeitressourcen, gesetzlichen Rahmenbedingungen und Investitionsmöglichkeiten stark. Das heißt, die Direktvermarktung ist nicht für alle eine Alternative. “Multifunktionalität” heißt immer auch Mehrfachbelastung, die zum Spagat werden kann.  Abgesehen davon braucht es dringend bessere gesetzliche Rahmenbedingungen – Stichwort Hygienerichtlinien, Sozialversicherungsbeiträge, etc. Das ist eines der großen Hindernisse für viele Bauern. Dennoch gibt es interessante Beispiele, die Vorbildwirkung haben könnten.

Bauernladen: Können sie uns so ein Beispiel gelungener Direktvermarkung geben?

Forster: Das Kärntner Projekt Kaslabn ist eines. 2016 haben vier Bauernhöfe vom Laufenberg, Klammberg, Obermillstätterberg und vom Glanz die Kaslabn-Genossenschaft gegründet. Heute liefern bereits zwanzig Betriebe ihre Bio Heumilch dorthin. Jeden zweiten Tag werden bis zu 6.000 Liter Ziegen- und Kuhmilch angeliefert und zu Berg- und Schnittkäse verarbeitet. Die Molke wird dabei nicht entsorgt, sondern an die Betriebe zurückgeliefert um Schweine und Jungvieh zu füttern.

Was ist mit Schafzucht, wäre das nicht auch ein Thema?

Forster: Das Problem ist, dass sich Produktion und Vermarktung nicht von heute auf morgen umstellen lassen. Daher werden viele Bergbauern wohl derzeit aufhören. Die angesprochene Schafzucht wäre zwar möglicher Weise für manche ein Thema, aber niemals für alle. Es braucht gesellschaftliche und demokratische Lösungen. Individuelle Betriebsentscheidungen können dann auf dieser Basis getroffen werden.

* Milch besteht aus Magermilch und Rahm. Da der Rahmanteil leichter ist als Wasser ist Volumen und Gewicht bei Milch nicht gleich. 1 kg Vollmilch entspricht 1020 ml, daraus ergibt sich ein Umrechnungsfaktor bei Liter in Kilogramm von 1,02%.

Franziskus Forster ist Pressesprecher der ÖBV-Via Campesina Austra, der heimischen Berg- und Kleinbauernvereinigung. Die ÖBV ist Mitglied bei La Via Campesina (spanisch la vía campesina, „der bäuerliche Weg“), eine internationale Bewegung von Kleinbauern und Landarbeitern, die 1993 gegründet wurde. Die Organisation vertritt das Konzept der Ernährungssouveränität. Sie setzt sich für eine umweltfreundliche, kleinbäuerliche Landwirtschaft ein, die vor allem die Versorgung der lokalen Bevölkerung sichern soll und ist gegen den Einsatz von Gentechnik. https://www.viacampesina.at

 

Direktvermarktung von Milch & Milchprodukten 2017 in Österreich: 2017 kamen 114.000 Tonnen Kuhmilch (3,1% der Erzeugung) am oder ab Hof – direkt oder in verarbeiteter Form – der menschlichen Ernährung zu Gute. Bei Schaf und Ziegenmilch gibt es dazu keine gesonderten Daten. Infos zum Projekt Kaslabn finden Sie hier www.kaslabn.at