Mundl Sackbauer himself würde nicht wenig staunen, wüßte er, was im zehnten Wiener Gemeindebezirk in Sachen Landwirtschaft künftig passieren soll.

Der Haschahof  liegt in Rothneusiedl: dort lebte man bis ins 19. Jahrhundert von Landwirtschaft. © Wr. Stadtlandwirtschaft

Er ist der letzte Vierkanthof der Bundeshauptstadt und hat eine bewegte Geschichte: Der Hascha-Hof, gelegen in Rothneusiedl am südlichen Stadtrand. Extensive Milchwirtschaft, Schweinehaltung, Anbau von Getreide, Gemüse und Zuckerrüben hat der Hof seit 1920 hinter sich, und als einer der ersten eine Umstellung auf Bio durch Rudolf Hascha 1987. Er hat als Selbsterntebetrieb viele Menschen kommen und gehen sehen, die sich an seinen Pflückgärten erfreuten. Doch dann wurde 2014 Haschas Pachtvertrag gekündigt und der Hof ging an den Wohnfonds Wien. Seither verfällt das historische Gebäude und entkam dem Abriss nur dank Anrainerprotesten, politischer Interventionen durch die Grünen und zweier Hausbesetzungen. Sollte das tatsächlich das Ende einer Ära sein? Nein, sagte der Zuge von Podiumsdiskussionen mit dem Bezirksvorstand gegründete Verein „Zukunftshof-Favoriten“  und legte ein interdisziplinäres Stadtlandwirtschaftskonzept für Rothneusiedl vor, das sich sehen lassen kann.

Ein Stadterweiterungsgebiet mit 100 Hektar Ackerflächen

Google-Earth Perspektive des Stadtteils Rothneusiedl und eine entsprechende Landkarte. ©Wiener Stadtlandwirtschaft

Kern dieses Konzepts ist der ehemalige Hascha-Hof. Und zwar neu erfunden als Zukunftshof Favoriten. Der Verein glaubt daran, dass auch in einem dicht bebauten Gebiet wie dem 10. Bezirk, der drittgrößten Gemeinde Österreichs, produktive, zukunftsweisende Stadtlandwirtschaft betrieben werden kann. Womit man eigentlich an die Vergangenheit anschließt, denn “Rothneusiedl war bis ins 19. Jahrhundert ein Ort, der fast ausschließlich von der Landwirtschaft lebte” erzählt Andreas Gugumuck, der nebenan erfolgreich Schnecken züchtet – auch eine Sache übrigens, für die Wien einst weltweit bekannt war. Zu Rothneusiedl gehören Ackerflächen von über 100 Hektar, die heute gleichzeitig eines der letzten großen Stadterweiterungsgebiete Wiens sind. Bevor die Entwicklungsplanung allerdings beginnt, sagt Gugumuck, bietet sich nun die einmalige Chance, von Anfang an auch produktive landwirtschaftliche Elemente zu integrieren.

Das “essbare Dorf” des dritten Jahrtausends

“In jedem Grätzel soll es dezidierte Flächen für Stadtlandwirtschaft geben, die neben den wertvollen Böden auch Fassaden, Dächer, Terrassen und Indoor-Produktionen einschließen”, so Gugumuck. Der neue Stadtteil solle die alten Identitäten – Hascha-Hof und Oberlaaer Dorfleben, mit den neuen, Vertical Farming und Urbanität, zusammenbringen und eine transparente Verbindung von Produktion, Veredelung und Vermarktung herstellen.” Die “Essbare Stadt” begreifbar machen, lautet das Ziel. Dafür sind die vielen historischen Gebäude und Strukturen des Hascha-Hofes wie gemacht. Geplant ist eine direkte Veredelung der eigenen Ernte am Hof, der Betrieb eines hofeigenen Restaurants und ein regelmäßig stattfindender Markt.

Der neue Stadtteil soll die alten Identitäten – Hascha-Hof und Oberlaaer Dorfleben, mit den neuen Vertical Farming und Urbanität zusammenbringen.

Um all das umzusetzen, setzt der Verein auf Verstärkung: die Universität für Bodenenkultur (BOKU), die technische Universität (TU), Fachhochschulen, die Magistratsabteilungen 18 bis 22 und 49 sowie Organisationen wie das Vertical Farm Institut, die Landwirtschaftskammer Wien, den Senat der Wirtschaft und den Dachverband Wiener Sozialeinrichtungen.

Leuchtturmprojekt mit sozialer Perspektive

Womit wir beim sozialen Aspekt sind, einem zusätzlichen Fokus des Konzepts. Projekte wie Green Care, in dem die Ressourcen eines Bauernhofes ganz bewusst zur Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden eingesetzt werden, sollen dort eine Heimat finden. Und den Kleinsten soll mittels Angeboten wie Schule am Bauernhof die Kreislaufwirtschaft näher gebracht werden – vom Bio Müll, über Kompostierung, Vertical Farming, Obst und Gemüsebau, Aquaponik, Pilzzucht, Insektenzucht, deren Verarbeitung, bis zum fertigen Gericht im Restaurant. Wo man im Moment steht? Das Team aus Stadtlandwirten, Architekten, Soziologen, Ernährungswissenschaftlern, Produzenten und Anrainern hat sich in Arbeitsgruppen aufgeteilt und feilt erst einmal weiter am Konzept. Diese Phase einschließlich des Aufbaus eines Netzwerks mit den Unis wird jedenfalls noch bis 2019 dauern. Sie wollen sich das Ganze jetzt schon ansehen? Kein Problem: öffentlich erreichen sie Rothneusiedl in nur 24 Minuten mit der U1 vom Stadtzentrum weg.